Eine Karte, die die europäische Wolfspopulation 2016 darstellt, unterstreicht Matthias‘ Aussage, als ich abends wieder an meinem Laptop sitze. Danach besteht die Deutsch-Westpolnische Population aus 400-500 Tieren. In Italien sollen es 800-1000 sein und im Balkangebiet etwa 5000. Ich lese noch einmal einige Berichte über „zerfetzte“ Schafe und gerissene Rinder, um genauer herauszufinden, was einige Menschen an der Rückkehr des Wolfes stört. Besonders im Kopf bleibt mir das Zitat eines Schäfers: „Seit 2012 haben wir 50 Schafe durch die Wölfe verloren. Dieses Jahr hatten wir schon zwei Übergriffe. (…) Jede Nacht hat man Angst.“ Ein anderer Schäfer sagt der BILD: „Ich bin seit 1991 selbstständig als Schäfer, alles hat gut funktioniert. Dann kam der Wolf und machte alles kaputt. Deshalb muss das Raubtier sterben. Es zerstört unsere Existenz“. Aber wie viele Schäfer sind eigentlich von dieser Problematik betroffen? Stehen Schafe wirklich ganz oben auf dem Speiseplan des Wolfs? Und wie viel frisst so ein Wolf eigentlich, bis er satt ist?
Schafe: eine seltene, aber bequeme Mahlzeit.
Die Übergriffe auf Nutztiere scheinen auch in diesem Jahrhundert ein großes Problem im Zusammenleben von Mensch und Wolf darzustellen. Es fällt mir nicht schwer, die verärgerten Schäfer zu verstehen, denn unter der Überschrift der BILD-Zeitung prangt ein großes Foto mit einem Haufen blutiger, toter Schafe darauf. Wer möchte schon morgens auf die Weide kommen und diesen Anblick ertragen müssen? Um Nutztierhaltern das zu ersparen, haben einige Bundesländer reagiert. In Sachsen beispielsweise werden Präventionsmaßnahmen gefördert, die dem Schutz von Schafen und Ziegen sowie Wild in Gattern dienen. In 2015 wurden für den „präventiven Herdenschutz“ 311.260,90 EUR aufgewendet. Sollte es dennoch zu einem Übergriff auf Nutztiere kommen, bei dem ein Wolf als Verursacher festgestellt oder nicht ausgeschlossen wurde, werden in Sachsen die dadurch entstandenen Schäden finanziell ausgeglichen. In 2015 wurden insgesamt 20.895,75 EUR Schadensausgleich gezahlt.
Trotz der finanziellen Unterstützung steigt mit der Rückkehr des Wolfes der Arbeitsaufwand für viele Schäfer. Die Anschaffung und Ausbildung von Herdenschutzhunden und der Bau von Elektrozäunen mögen vielversprechend sein, sind aber mitunter sehr aufwendig. Zumal die Zäune neben einer bestimmten Höhe auch so tief sein müssen, dass sich der Wolf nicht darunter durchgraben kann. Je größer oder unebener die zu sichernde Fläche, desto teurer und aufwendiger ist die Umzäunung. Mehrarbeit, zusätzliche Kosten und die Bürokratie erschweren dem Schäfer sein Handwerk, sodass einige dann erst handeln, wenn ihre Herde das erste Mal von einem Wolf angegriffen wurde.
Weil im April 2016 die meisten Wolfsrudel, nämlich zwölf, in Sachsen lebten, schaue ich mir die gemeldeten Schäden an Nutztieren in diesem Bundesland etwas genauer an. Für dasselbe Jahr wurden dort 71 Übergriffe auf Nutztiere oder Gatterwild gemeldet, wobei der Wolf als Verursacher in 44 dieser Fälle festgestellt oder aber nicht ausgeschlossen werden konnte. Insgesamt sind dabei 219 Tiere getötet worden, 15 gelten als vermisst und 14 wurden verletzt. Häufig handelte es sich um Schafe.
Grundsätzlich sind Wölfe Fleischfresser, ab und an fressen sie aber auch mal Obst. Sie sind intelligente Jäger, die im Rudel oder auch einzeln jagen und sehr effizient vorgehen. Sie bevorzugen Beute, die einfach zu bekommen ist. Das können alte, kranke oder sehr junge Wildtiere sein, aber eben auch Schafe, die eng zusammenstehend und nichts Böses ahnend im Territorium des Wolfes weiden. So eine vermeintlich einfache Gelegenheit lässt sich so mancher Wolf nicht entgehen, ist es doch deutlich kräftesparender als einem flinken Reh hinterher zu hetzen. Manche Wölfe geraten dabei in eine Art Blutrausch, weil die in diesen Fällen durch einen Zaun eingesperrten Schafe keine Möglichkeit zur Flucht haben, wie es in der freien Natur das Fall wäre. So kommt es auch vor, dass Wölfe mehr Tiere töten, als sie am Ende fressen können und der Schäfer am nächsten Morgen vor seinen toten Tieren steht.
Obgleich Meldungen über gerissene Schafe vielfach im Internet verbreitet werden, beweist eine andere Quelle, dass Schafe dem Wolf nicht als hauptsächliche Nahrungsquelle dienen. Im Gegenteil. Forscher hatten den Kot von 1811 Wölfen aus der Lausitz untersucht. Diesen Analysen zufolge stehen Rehe mit über 50% auf dem Speiseplan der dort angesiedelten Wölfe ganz oben, gefolgt von Rothirschen und Wildschweinen. Durchschnittlich erlegt ein Lausitzer Wolf im Jahr 65 Rehe, 9 Stück Rotwild und 16 Sauen. Nutztiere, vor allem Schafe, machen hingegen nur einen sehr geringen Anteil seiner Ernährung aus.
Raubtier mit Familiensinn Wölfe leben in Rudeln, ähnlich einer menschlichen Familie. Dieses Rudel besteht in der Regel aus zwei Elterntieren, dem Rüden und der Fähe, sowie den Nachkommen der letzten zwei Jahre. Einmal im Jahr kann eine Fähe drei bis acht Welpen zur Welt bringen. Nach einer Tragzeit von etwa zwei Monaten gebärt sie meist Anfang Mai. Die Jungwölfe verlassen das Rudel im Alter von 10-22 Monaten, noch bevor sie geschlechtsreif sind, um eine eigene Familie zu gründen. Eine umkämpfte Rangordnung, wie man sie bei Wölfen in Gefangenschaft mitunter beobachten kann, gibt es nicht.
Wölfe sind sehr anpassungsfähige Tiere, weswegen sie in diversen Unterarten und Rassen einst in vielen Teilen der Welt zu finden waren. Sie können in arktischen Gebieten, Wäldern oder Wüstenlandschaften leben. Der bei uns heimische Eurasische Wolf (Canis Lupus Lupus) benötigt zur Aufzucht seiner Welpen eine ruhige Umgebung und bevorzugt aufgrund des Nahrungsangebotes Wald- oder Graslandschaften. Die dichte Population an Schalenwild in unseren Wäldern ist vermutlich einer der Gründe, warum Wölfe nach Deutschland zurückkehren. Da das Nahrungsangebot die Anzahl der Wölfe in einem Gebiet regelt, kommen sie bevorzugt dorthin, wo ein großes Angebot an möglichen Beutetieren verfügbar ist. Je weniger Beutetiere in einem Territorium leben, desto größer wird auch das Revier der Gruppe. Das Revier eines Wolfrudels ist durchschnittlich 200 km² groß und wird, wenn nötig, gegen andere Wölfe verteidigt. Modellrechnungen des Bundesamtes für Naturschutz zufolge würde Deutschland derzeit Platz für 440 Wolfsrudel bieten.
Wolf und Mensch: eine engere Bindung, als wir denken.
Bedenkt man, dass in deutschen Haushalten im Jahr 2015 knapp acht Millionen Hunde lebten, hat sich die Beziehung zwischen Mensch und Wolf durchaus positiv entwickelt. Viele Menschen haben also einen „kleinen Wolf“ als besten Freund bei sich zu Hause, denn Wölfe sind die größten Vertreter unter den Hundeartigen (Canidae) und die Vorfahren unserer heutigen Haushunde. Angesichts eines Dackels oder Chihuahua fällt es allerdings schwer, den Bogen zum Urvater Wolf zu schlagen, der immerhin eine Schulterhöhe von bis zu 75 cm und ein Gewicht von durchschnittlich 40 kg erreicht. Andersherum gibt es aber auch Hunderassen, die dem Wolf zumindest optisch noch immer sehr ähnlich sehen, z.B. der Tschechoslowakische Wolfshund. Der wildlebende Wolf hingegen meidet die Nähe des Menschen. Er ist ein scheuer Waldbewohner, der Konflikten aus dem Weg geht. In dicht besiedelten Gebieten ist es manchmal jedoch unumgänglich, dass Mensch und Wolf miteinander in Kontakt kommen. Wölfe nutzen durchaus intelligent unsere menschlichen Strukturen. Beispielsweise wandern sie auf unseren ausgebauten Straßen, weil diese Art der Fortbewegung energiesparender ist als auf unbefestigten Waldwegen. Und wenn die Neugierde sie packt, kann es in seltenen Fällen auch mal passieren, dass sie sich etwas näher anschauen möchten, welch interessante Zweibeiner da in ihrem Revier unterwegs sind.