Artenschutz | Säugetiere

Wer hat Angst vorm bösen Wolf?

„Ob Sie sich einen Moment Zeit für den Tierschutz nehmen würden?“ Ich winke zum Gruß und lächle eine ältere Dame mit gelockten, grauen Haaren freundlich an. Sie bleibt vor dem grünen aktion tier Informationsstand stehen, an dem ich heute arbeite, und seufzt. „Na ja… gut.“, sagt sie nach einer kurzen Denkpause. „Für Tiere hab ich ja was übrig!“

Ich nehme meine Bildermappe in die Hand und möchte mich vorstellen, doch ehe ich dazu kommen, fügt die Dame hinzu: „Wissen Sie, ich liebe alle Tiere. Außer Wölfe. Ein Skandal, dass diese Biester hierzulande so viel Unterstützung erfahren!“ Ihre Miene verhärtet sich. „Schauen Sie doch mal in die Zeitung, junge Dame! Wölfe reißen Schafe und Hunde, werden in Wohngebieten gesichtet! Es ist doch nur eine Frage der Zeit, bis es mal ein Kind erwischt!“ Ich bin etwas verwundert über ihre Aussage. Zwar höre ich immer wieder in den Medien, dass Wölfe Schafe gerissen hätten, aber als Gefahr habe ich diese Tiere bisher nicht gesehen – schon gar nicht für Menschen. „Hatten Sie schon einmal negatives Erlebnis mit einem Wolf?“, frage ich vorsichtig. Die Frau schnaubt verächtlich. „Nein“, sagt sie, „aber wenn Sie unterstützen, dass sich diese Viecher hier bei uns weiter ausbreiten, dann ohne mich!“ Ehe ich etwas erwidern kann, greift sie ihre Einkaufstüte und geht davon.

Als ich abends nach Hause komme, klappe ich meinen Laptop auf. Ich möchte verstehen, warum ein Mensch, der noch nie selbst einem Wolf begegnet ist, solch eine Abneigung verspürt. Ich frage die Suchmaschine, was sie zum Thema „Wolf“ weiß. „Wolf auf Schulweg gesichtet – Eltern in Sorge“, titelt die Märkische Allgemeine Zeitung. „Wolf zerfetzt zehn Schafe“, heißt es bei der BILD. Und die Sächsische Zeitung diskutiert: „Ist der Wolf ein Problemfall?“. Ich lese von Abschussfreigaben, Attacken auf Schafe, sogenannten Problemwölfen und zahlreichen Lösungsansätzen, wie man Wölfe fernhalten könne. Nachdem ich eine Weile gelesen habe, wundert mich das Ergebnis einer Umfrage, die ich auf der Webseite des MDR entdecke, nicht mehr. Sollen Problemwölfe abgeschossen werden dürfen? will der Mitteldeutsche Rundfunk wissen. Mit 5000 Stimmen und 64% fällt das Urteil der Menschen recht eindeutig aus: „Von mir aus können alle Wölfe abgeschossen werden. Die Ansiedlung war ohnehin keine gute Idee.“ Das klingt nach dem, was mir die Dame heute im Einkaufzentrum gesagt hatte. Immerhin freuen sich einige Naturschützer über die Wiederansiedlung des Wolfes in Deutschland. Stimmt, denke ich, der Wolf war hierzulande völlig ausgerottet. Doch was hatte eigentlich dazu geführt? Kriege? Nahrungsarmut? Klimawandel?

Der böse Wolf hat schließlich das Rotkäppchen gefressen!

Am nächsten Tag rufe ich Dr. Matthias Baeseler, der bei aktion tier e.V. arbeitet, an. Ich frage ihn, was er über den Wolf weiß. „Der Wolf hat keinen leichten Stand bei uns!“, erklärt er mir. „Der letzte seiner Art in Deutschland wurde 1904 erschossen. Danach galt der Canis Lupus hierzulande ungefähr bis 1945 als ausgestorben. Die Angst vor der Tollwut, Angriffe des Wolfes auf meist freilaufende Nutztiere und die Jagdkonkurrenz des Menschen mit dem Wolf hatten dazu geführt, dass den Tieren mit allen Mitteln nachgestellt worden war. Gift und Jagd waren wohl die gebräuchlichsten Mittel, mit denen der Mensch einem Wolf nach dem anderen den Garaus machte. Auch zwischen 1945 und 1990 hat man Wölfe, die bei uns einzuwandern versuchten, getötet: 13 Tiere in der DDR und 9 in der BRD. Und außerdem“, fügt Matthias hinzu, „darfst du nicht vergessen, dass der Wolf das Rotkäppchen gefressen hat. Und die sieben Geißlein. Jedenfalls laut den Gebrüdern Grimm. Doch nicht nur in Märchen, auch in vielen Fabeln wurde ein verschlagenes, streitsüchtiges Bild vom Wolf gezeichnet. Die Geschichten um den heimtückischen ‚Isegrim‘ sind über viele Generationen weitergetragen worden, bis heute.

Der schlechte Ruf eilt dem Wolf ungerechterweise voraus, denn er ist genauso wenig ‚böse‘ wie andere Raubtiere.“ „Und was hat dann den Wandel verursacht? Wie konnten sich Wölfe plötzlich wieder bei uns ansiedeln, wenn wir sie doch über Jahrhunderte gejagt haben?“, möchte ich wissen. „Naja, plötzlich würde ich das nicht gerade nennen!“, antwortet mir Matthias. „Der Wolf war weltweit einmal eines der am häufigsten vorkommenden Beutegreifer. In seinem Lebensraum stand er an der Spitze der Nahrungskette. Bis heute ist er aber aus vielen Regionen unserer Erde verschwunden. Dass sich der Bestand nun Europaweit erholt, hat eine lange Zeit gebraucht und ist unter anderem das Ergebnis verschiedener gesetzlicher Schutzmaßnahmen. Wölfe, die aus dem benachbarten Polen einzuwandern versuchten, durften schließlich in Deutschland nicht mehr geschossen werden. Leider passierte das trotzdem auf illegale Weise, sodass es viele Jahre brauchte, bis das erste, eingewanderte Wolfspaar in Sachsen Junge bekam. Die Geburt dieser Wolfskinder im Jahr 2000 datiert übrigens die Wiederansiedlung des Wolfes bei uns.“

„Und was ist mit der Tollwut? Haben die Wölfe sie wieder zu uns gebracht?“ frage ich Matthias, denn ich erinnere mich, dass er diesen Faktor eben genannt hatte. „Nein, keine Sorge!“, beruhigt er mich. „Das Problem der Tollwut wurde, vor allem bei Füchsen, durch Schluckimpfungen erfolgreich bekämpft. Deutschland gilt seit 2008 als Tollwutfrei.“ Die Tollwut stellt also auch keinen Grund mehr dar, Angst vor dem Wolf zu haben, denke ich. Und trotzdem hat es viele Jahre unter strengem Schutz gebraucht, damit eine Wolfsfamilie in Deutschland wieder sesshaft werden konnte.

„Wie viele Wölfe leben denn aktuell in Deutschland?“, frage ich Matthias als Letztes. „Ganz sicher kann man das nicht sagen. Wölfe sind sehr scheue Tiere. Letztes Jahr im September wurden offizielle Zahlen veröffentlicht, die das Vorkommen von 46 Wolfsrudeln, 15 Wolfspaaren und vier sesshaften Einzelwölfen in Deutschland bestätigten. Diese verteilten sich auf die Bundesländer Sachsen, Brandenburg, Niedersachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen und Mecklenburg- Vorpommern.“

Rechtlicher Status in Deutschland: Gesetze – rote Liste

Der Wolf ist durch verschiedene Rechtsvorschriften geschützt. Dazu zählen das Washingtoner Artenschutzabkommen und die Berner Konvention, Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie der Europäischen Union (FFH-Richtlinie), das Bundesnaturschutzgesetz (besonders geschützte sowie streng geschützte Art), das Tierschutzgesetz und eventuelle Bestimmungen im jeweiligen Bundesland, z.B. das Brandenburgische Naturschutzgesetz. In der Roten Liste der gefährdeten Tiere Deutschlands wird der Wolf als eine vom Aussterben bedrohte Tierart eingestuft.

Eine Karte, die die europäische Wolfspopulation 2016 darstellt, unterstreicht Matthias‘ Aussage, als ich abends wieder an meinem Laptop sitze. Danach besteht die Deutsch-Westpolnische Population aus 400-500 Tieren. In Italien sollen es 800-1000 sein und im Balkangebiet etwa 5000. Ich lese noch einmal einige Berichte über „zerfetzte“ Schafe und gerissene Rinder, um genauer herauszufinden, was einige Menschen an der Rückkehr des Wolfes stört. Besonders im Kopf bleibt mir das Zitat eines Schäfers: „Seit 2012 haben wir 50 Schafe durch die Wölfe verloren. Dieses Jahr hatten wir schon zwei Übergriffe. (…) Jede Nacht hat man Angst.“ Ein anderer Schäfer sagt der BILD: „Ich bin seit 1991 selbstständig als Schäfer, alles hat gut funktioniert. Dann kam der Wolf und machte alles kaputt. Deshalb muss das Raubtier sterben. Es zerstört unsere Existenz“. Aber wie viele Schäfer sind eigentlich von dieser Problematik betroffen? Stehen Schafe wirklich ganz oben auf dem Speiseplan des Wolfs? Und wie viel frisst so ein Wolf eigentlich, bis er satt ist?

Schafe: eine seltene, aber bequeme Mahlzeit.

Die Übergriffe auf Nutztiere scheinen auch in diesem Jahrhundert ein großes Problem im Zusammenleben von Mensch und Wolf darzustellen. Es fällt mir nicht schwer, die verärgerten Schäfer zu verstehen, denn unter der Überschrift der BILD-Zeitung prangt ein großes Foto mit einem Haufen blutiger, toter Schafe darauf. Wer möchte schon morgens auf die Weide kommen und diesen Anblick ertragen müssen? Um Nutztierhaltern das zu ersparen, haben einige Bundesländer reagiert. In Sachsen beispielsweise werden Präventionsmaßnahmen gefördert, die dem Schutz von Schafen und Ziegen sowie Wild in Gattern dienen. In 2015 wurden für den „präventiven Herdenschutz“ 311.260,90 EUR aufgewendet. Sollte es dennoch zu einem Übergriff auf Nutztiere kommen, bei dem ein Wolf als Verursacher festgestellt oder nicht ausgeschlossen wurde, werden in Sachsen die dadurch entstandenen Schäden finanziell ausgeglichen. In 2015 wurden insgesamt 20.895,75 EUR Schadensausgleich gezahlt.

Trotz der finanziellen Unterstützung steigt mit der Rückkehr des Wolfes der Arbeitsaufwand für viele Schäfer. Die Anschaffung und Ausbildung von Herdenschutzhunden und der Bau von Elektrozäunen mögen vielversprechend sein, sind aber mitunter sehr aufwendig. Zumal die Zäune neben einer bestimmten Höhe auch so tief sein müssen, dass sich der Wolf nicht darunter durchgraben kann. Je größer oder unebener die zu sichernde Fläche, desto teurer und aufwendiger ist die Umzäunung. Mehrarbeit, zusätzliche Kosten und die Bürokratie erschweren dem Schäfer sein Handwerk, sodass einige dann erst handeln, wenn ihre Herde das erste Mal von einem Wolf angegriffen wurde.

Weil im April 2016 die meisten Wolfsrudel, nämlich zwölf, in Sachsen lebten, schaue ich mir die gemeldeten Schäden an Nutztieren in diesem Bundesland etwas genauer an. Für dasselbe Jahr wurden dort 71 Übergriffe auf Nutztiere oder Gatterwild gemeldet, wobei der Wolf als Verursacher in 44 dieser Fälle festgestellt oder aber nicht ausgeschlossen werden konnte. Insgesamt sind dabei 219 Tiere getötet worden, 15 gelten als vermisst und 14 wurden verletzt. Häufig handelte es sich um Schafe.

Grundsätzlich sind Wölfe Fleischfresser, ab und an fressen sie aber auch mal Obst. Sie sind intelligente Jäger, die im Rudel oder auch einzeln jagen und sehr effizient vorgehen. Sie bevorzugen Beute, die einfach zu bekommen ist. Das können alte, kranke oder sehr junge Wildtiere sein, aber eben auch Schafe, die eng zusammenstehend und nichts Böses ahnend im Territorium des Wolfes weiden. So eine vermeintlich einfache Gelegenheit lässt sich so mancher Wolf nicht entgehen, ist es doch deutlich kräftesparender als einem flinken Reh hinterher zu hetzen. Manche Wölfe geraten dabei in eine Art Blutrausch, weil die in diesen Fällen durch einen Zaun eingesperrten Schafe keine Möglichkeit zur Flucht haben, wie es in der freien Natur das Fall wäre. So kommt es auch vor, dass Wölfe mehr Tiere töten, als sie am Ende fressen können und der Schäfer am nächsten Morgen vor seinen toten Tieren steht.

Obgleich Meldungen über gerissene Schafe vielfach im Internet verbreitet werden, beweist eine andere Quelle, dass Schafe dem Wolf nicht als hauptsächliche Nahrungsquelle dienen. Im Gegenteil. Forscher hatten den Kot von 1811 Wölfen aus der Lausitz untersucht. Diesen Analysen zufolge stehen Rehe mit über 50% auf dem Speiseplan der dort angesiedelten Wölfe ganz oben, gefolgt von Rothirschen und Wildschweinen. Durchschnittlich erlegt ein Lausitzer Wolf im Jahr 65 Rehe, 9 Stück Rotwild und 16 Sauen. Nutztiere, vor allem Schafe, machen hingegen nur einen sehr geringen Anteil seiner Ernährung aus.

Raubtier mit Familiensinn Wölfe leben in Rudeln, ähnlich einer menschlichen Familie. Dieses Rudel besteht in der Regel aus zwei Elterntieren, dem Rüden und der Fähe, sowie den Nachkommen der letzten zwei Jahre. Einmal im Jahr kann eine Fähe drei bis acht Welpen zur Welt bringen. Nach einer Tragzeit von etwa zwei Monaten gebärt sie meist Anfang Mai. Die Jungwölfe verlassen das Rudel im Alter von 10-22 Monaten, noch bevor sie geschlechtsreif sind, um eine eigene Familie zu gründen. Eine umkämpfte Rangordnung, wie man sie bei Wölfen in Gefangenschaft mitunter beobachten kann, gibt es nicht.

Wölfe sind sehr anpassungsfähige Tiere, weswegen sie in diversen Unterarten und Rassen einst in vielen Teilen der Welt zu finden waren. Sie können in arktischen Gebieten, Wäldern oder Wüstenlandschaften leben. Der bei uns heimische Eurasische Wolf (Canis Lupus Lupus) benötigt zur Aufzucht seiner Welpen eine ruhige Umgebung und bevorzugt aufgrund des Nahrungsangebotes Wald- oder Graslandschaften. Die dichte Population an Schalenwild in unseren Wäldern ist vermutlich einer der Gründe, warum Wölfe nach Deutschland zurückkehren. Da das Nahrungsangebot die Anzahl der Wölfe in einem Gebiet regelt, kommen sie bevorzugt dorthin, wo ein großes Angebot an möglichen Beutetieren verfügbar ist. Je weniger Beutetiere in einem Territorium leben, desto größer wird auch das Revier der Gruppe. Das Revier eines Wolfrudels ist durchschnittlich 200 km² groß und wird, wenn nötig, gegen andere Wölfe verteidigt. Modellrechnungen des Bundesamtes für Naturschutz zufolge würde Deutschland derzeit Platz für 440 Wolfsrudel bieten.

Wolf und Mensch: eine engere Bindung, als wir denken.

Bedenkt man, dass in deutschen Haushalten im Jahr 2015 knapp acht Millionen Hunde lebten, hat sich die Beziehung zwischen Mensch und Wolf durchaus positiv entwickelt. Viele Menschen haben also einen „kleinen Wolf“ als besten Freund bei sich zu Hause, denn Wölfe sind die größten Vertreter unter den Hundeartigen (Canidae) und die Vorfahren unserer heutigen Haushunde. Angesichts eines Dackels oder Chihuahua fällt es allerdings schwer, den Bogen zum Urvater Wolf zu schlagen, der immerhin eine Schulterhöhe von bis zu 75 cm und ein Gewicht von durchschnittlich 40 kg erreicht. Andersherum gibt es aber auch Hunderassen, die dem Wolf zumindest optisch noch immer sehr ähnlich sehen, z.B. der Tschechoslowakische Wolfshund. Der wildlebende Wolf hingegen meidet die Nähe des Menschen. Er ist ein scheuer Waldbewohner, der Konflikten aus dem Weg geht. In dicht besiedelten Gebieten ist es manchmal jedoch unumgänglich, dass Mensch und Wolf miteinander in Kontakt kommen. Wölfe nutzen durchaus intelligent unsere menschlichen Strukturen. Beispielsweise wandern sie auf unseren ausgebauten Straßen, weil diese Art der Fortbewegung energiesparender ist als auf unbefestigten Waldwegen. Und wenn die Neugierde sie packt, kann es in seltenen Fällen auch mal passieren, dass sie sich etwas näher anschauen möchten, welch interessante Zweibeiner da in ihrem Revier unterwegs sind.

Wolfsbeauftragte und Wolfsberater

Wolfsbeauftragte sammeln Daten rund um den Wolf, beispielsweise von Sichtungen oder Nutztierrissen. Diese Informationen werden u.a. von sogenannten Wolfsberatern zusammengetragen. Wolfsberater/ innen sind ehrenamtlich in einem Landkreis aktiv, um Menschen im ungewohnten Umgang mit dem Wolf zu unterstützen, Ängste abzubauen und Hinweisen auf Wölfe nachzugehen.

Video Was macht eigentlich ein Wolfsberater?

Für den höchst unwahrscheinlichen Fall, dass das passiert und Sie einem Wolf begegnen sollten, gelten die gleichen Regeln wie bei allen Wildtieren: in jedem Fall Ruhe bewahren! Meistens ergreift der Wolf die Flucht, wenn er sich entdeckt wähnt und löst damit sich und die vermeintlich unangenehme Situation praktisch in Luft auf. Wenn nicht, halten Sie respektvollen Abstand, machen Sie sich groß und klatschen Sie wenn nötig laut in die Hände. Locken Sie Wölfe auf keinen Fall mit Futter an, bedrängen Sie sie nicht und laufen Sie ihnen nicht nach. Und haben Sie keine Angst. Die Chance, vom Blitz getroffen, von einem Hund angegriffen oder von einem Wildschwein überrannt zu werden ist vermutlich höher, als dass ein Wolf Sie angreift.

Um diese These zu untermauern, haben führende Experten aus verschiedenen Ländern mit Wolfsvorkommen 2002 im Auftrag des Norwegischen Institutes für Naturforschung (NINA) eine weltweite Studie erstellt. Das Ergebnis war eindeutig: In 50 Jahren gab es in Europa lediglich neun belegte Fälle, in denen Wölfe einen Menschen getötet haben. In fünf dieser Fälle litten die betreffenden Tiere an Tollwut. Die Erkrankung macht hochgradig aggressiv.

Die seltenen, durch NINA dokumentierten Angriffe gesunder Wölfe waren durch Fehlverhalten des Menschen verursacht worden. Die Wölfe waren bedrängt bzw. provoziert worden oder aber habituiert. Letzteres bedeutet, der Mensch hatte den Wolf zuvor an sich gewöhnt, zum Beispiel indem er ihn angefüttert hatte. Dies kann eine gewisse Erwartungshaltung wecken und zu einem aufdringlichen, für den Menschen gefährlichen Verhalten führen, so wie man es beispielsweise auch schon bei Bären in Kanada beobachten konnte. Um so etwas zu vermeiden, sollten Wildtiere nie gefüttert werden!

Keine Angst vor Veränderungen: Ein Umdenken ist gefragt.

Über Jahrhunderte haben wir den Wolf dämonisiert und ihn bis zu seiner Ausrottung gejagt, weil er unser Fressfeind war, weil er uns Angst gemacht hat. Heute muss sich der Mensch über keinen dieser Faktoren mehr sorgen. Der Wolf stellt keine Gefahr für uns dar, er ist uns gegenüber nicht grundsätzlich aggressiv oder angriffslustig. Die Angst vor der Tollwut ist derzeit ebenfalls unbegründet, Deutschland und viele unserer Nachbarländer gelten als tollwutfrei. Auch leiden wir in Deutschland nicht an einer Nahrungsmittelknappheit, sodass wir uns mit dem Wolf um ein Reh streiten müssten – im Gegenteil. Dadurch, dass der Mensch alle natürlichen Feinde von Reh, Rothirsch und Co. wie den Luchs oder eben den Wolf systematisch dezimiert hat, sind die Wildbestände in Deutschland seit Jahrzehnten gewachsen. Diese Überpopulation verursacht mitunter große Schäden am Wald (z.B. durch den Verbiss junger Bäume), sodass Jäger in Deutschland jedes Jahr Millionen von Wildtieren abschießen, um den Bestand zu regulieren. Allein vor diesem Hintergrund kann der Wolf einen wichtigen Beitrag für ein ausgewogenes Wild-Wald-Verhältnis leisten – und das auf ganz natürliche Weise.

Für Nutztierhalter gibt es vielversprechende Methoden, ihre Tiere vor dem Wolf zu schützen, wobei sie finanziell unterstützt werden können. Die Lösung im Zusammenleben liegt in unserem Verständnis für Artenvielfalt und einer gewissen Rücksichtnahme. Dass das funktionieren kann, machen uns viele andere Länder der Erde tagtäglich vor: ob bei Alligatoren in Florida, Bären in Kanada oder Giftschlangen in Australien – hier führt nicht die Bekämpfung, sondern der richtige Umgang mit diesen Wildtieren zur Koexistenz.

Der Wolf ist kein Feind, der bekämpft werden muss. Seine Ausbreitung wird durch den schwindenden natürlichen Lebensraum, die Urbanisierung, das begrenzte Angebot von Nahrung und vielen anderen Faktoren reguliert. Wir haben nichts zu befürchten, schon gar keine deutschlandweite „Wolfisierung“. Und wenn doch, können wir immer noch zu anderen Mitteln greifen. Geben wir der Artenvielfalt eine neue Chance: Teilen wir unseren Lebensraum mit anderen, statt ihnen mit dem Abschuss zu begegnen.

Das aktion tier Prinzip: Aufklärung als Grundsatz

Aufklärungsarbeit, wie aktion tier sie seit vielen Jahren betreibt, ist auch im Umgang mit dem Wolf der Schlüssel für ein langfristiges, friedliches Zusammenleben von Mensch und Tier. Speziell zum Thema Wolf wurden bundesweit diverse Anlaufstellen geschaffen, bei denen man sich informieren und bei Bedarf auch Hilfe im Umgang mit dem Wolf bekommen kann. Eine davon ist die aktion tier Wildtier- und Artenschutzstation Sachsenhagen in Niedersachsen, deren Leiter Dr. Florian Brandes unter anderem als Wolfsberater tätig ist.

Download

NINA - Norsk institutt for naturforskning

"The fear of wolves - A review of wolfs attacks on humans"

Sandy Both