Der hat einen Vogel - nicht nur einen, sondern über 1.700. So viele Wellensittiche lebten bis Mitte Dezember 2008 bei Gerhard A. im Berliner Stadtteil Spandau. Bis die illegale Massenzucht im wahrsten Sinne des Wortes aufflog.
In der drei-Zimmer-Wohnung im Dachgeschoss des Mehrfamilienhauses stand die Luft. Tropische Temperaturen ließen sofort Brillengläser und Kameraobjektive beschlagen. In zwei Zimmern wimmelte es von Wellensittichen in allen Farben, die frei herumflogen. Sie saßen auf Ästen, die an der Decke angebracht waren, balzten vor ihren Nisthöhlen, fraßen aus großen Futterschalen am Boden. Überall Federn, überall Kot. Dazwischen der gut gelaunte 60jährige Frührentner Gerhard A. – barfuss und in kurzen Hosen. Die kleinen Singpapageien seien sein Ein und Alles, betonte der Diplom-Ingenieur.
Vor drei Jahren fand er auf der Straße einen abgemagerten Wellensittich, nahm ihn mit nach Hause und kaufte ihm zur Gesellschaft ein Weibchen. Tiere, die Freunde und Bekannte nicht mehr haben wollten, und Schwierigkeiten beim Verkauf von Jungvögeln ließ die Zahl der Wellensittiche ständig wachsen.
Bei unserem ersten Besuch schätzte Herr A. seinen Bestand auf 500 Vögel. Dass es tatsächlich über 1700 sind zeigte sich erst, als das alarmierte Veterinäramt die Tiere beschlagnahmte und in einer Quarantänestation unterbrachte. Zwischen offizieller Beschlagnahmung und der Wegnahme der Tiere vergingen allerdings Wochen. Zeit genug für Herrn A., mehrmals die Fenster zu öffnen und über 100 Wellensittiche frei zu lassen. In den darauffolgenden Tagen fanden Vogelfreunde immer wieder tote Tiere in der Nähe der Wohnung, die verhungert oder aufgrund des Temperaturschocks gestorben waren. Der Frührentner fühlte sich nicht für deren Tod verantwortlich und blieb bei seiner Meinung, dass die Tiere es in Freiheit besser hätten als in den Händen der Behörden.
Das Veterinäramt begründete die Verzögerung mit der Angst vor Psittacose (Papageienkrankheit), einer hoch infektiösen Seuche, die auch Menschen befallen kann. Daher wurden Kotproben genommen, deren Analyse geraume Zeit dauerte. Zum Schutz vor der Papageienkrankheit wurde 1991 die Psittakoseverordnung erlassen. Demgemäß müssen Züchter und Händler ihre Vögel mittels Fußringen des Zentralverbands Zoologischer Fachgeschäfte Deutschlands e.V. oder eines eingetragenen Züchtervereins kennzeichnen. Außerdem bedarf jeder, der Papageien und Sittiche züchten will, gemäß § 17g Tierseuchengesetz der Erlaubnis der zuständigen Veterinärbehörde. Für Zuchtanlagen in Wohnbereichen kann allerdings keine Erlaubnis erteilt werden. Herr A.´s Zucht war daher nicht nur illegal, sondern auch hinsichtlich der Seuchengefahr äußerst gefährlich.