Bundesagrarminister Özdemir sieht die Einführung als Meilenstein für mehr Transparenz und im Bewusstsein für Kaufentscheidungen. Es gibt jedoch auch große Kritik. Denn aus dem zunächst angekündigten Tierwohllabel wurde im Laufe der lange andauernden Verhandlungen eine Tierhaltungskennzeichnung, die über das tatsächliche Wohl der Tiere kaum noch etwas aussagt. Ähnlich wie bereits bei der Haltungsform-Initiative, mit der sich der Handel selbst eine Orientierung für Verbraucher auferlegt hatte, gibt das neue Siegel nur über das Platzangebot für die Tiere Auskunft. Dieses ist in fünf Stufen aufgeteilt: reine Stallhaltung, Stallhaltung mit größerem Platzangebot, Haltung im Frischluftstall, Haltung mit Zugang zu Auslauf bzw. Weide und „Bio“. Die Haltungsform „Stall“ bezeichnet dabei die gesetzliche Mindestanforderung. Der Name erinnert eher an Bauernhofidyll, Stroh und Einstreu für die Tiere; dahinter verbergen sich jedoch Spaltenböden und kleine Buchten mit kahlen Betonwänden. Je nach Gewicht und Alter muss einem Schwein hier ein Platzangebot von mindestens 0,5 m2 zur Verfügung stehen. Die nächstfolgenden Stufen bieten nur unwesentlich mehr Platz.
Für mehr Transparenz und Bewusstsein – Staatliches Tierhaltungs-Siegel
Seit Beginn des Jahres ist die Kennzeichnung tierischer Produkte mit dem staatlichen Tierhaltungs-Label verpflichtend. Das sogenannte Tierhaltungskennzeichnungsgesetz ist im August 2023 in Kraft getreten, seit Januar ist es nun verbindlich. Zunächst ist die Angabe der Haltungsform nur für Schweinefleisch obligatorisch, weitere Tierarten sollen bald folgen.
Ursprünglich sollte die zweite Stufe „Stall Plus“ 20% mehr Platzangebot als die niedrigste Stufe bedeuten, nach dem nun umgesetzten Gesetz sind es nur noch 12,5%. Erst die Haltungsbezeichnung „Bio“ ist etwas aussagekräftiger, da abgesehen vom Platz auch alle anderen Anforderungen der EUÖko-Verordnung gelten und diese auch eingehalten werden müssen. Allerdings ist auch hier das Platzangebot von knapp über einem Quadratmeter weit von den artgemäßen Bedürfnissen der Tiere entfernt. Was die einzelnen Stufen tatsächlich bedeuten, erfährt nur, wer sich hier näher informiert.
Über das einzelne Wohl des Tieres sagt das Siegel nichts aus
Verbraucherschützer bemängeln zudem, dass die Stufen der Haltungsformen – wie übrigens auch im Fall der Initiative Tierwohl – von der niedrigsten zur höchstbewerteten aufsteigen. Damit ist die Bewertung genau entgegengesetzt zur ebenfalls nach Haltungsformen kategorisierten Einteilung von Eiern erfolgt: Hier ist die 3 die Kennzeichnung für Käfighaltung, die 2 für Bodenhaltung, die 1 für Freilandhaltung und die 0 für ökologische oder Bio-Haltung. Vor der Einführung des Eierstempels lag der Marktanteil von Eiern aus Käfighaltung bei weit über 90%. Durch Aufklärung und gleichzeitige Verschärfung der Haltungsverordnungen konnte er auf unter 10% zurückgedrängt werden. Ein weiterer Kritikpunkt: Die Kennzeichnungspflicht gilt zunächst lediglich für frisches Fleisch von Schweinen, die in Deutschland gehalten und geschlachtet sowie deren Körper nach der Schlachtung in Deutschland verarbeitet wurden. Die Auszeichnung von verarbeitetem Fleisch sowie eine Ausweitung auf die Gastronomie wurde zumindest angekündigt und ist für 2025 geplant. Eine Kennzeichnung für ausländisches Fleisch, das oft unter noch geringeren Mindeststandards als in Deutschland produziert wird, ist auf freiwilliger Basis zwar möglich, aber nicht vorgesehen. Landwirtschaftsverbände befürchten daher, dass ausländisches Fleisch in Deutschland billiger verkauft werden kann, obwohl es unter schlechteren Tierwohlstandards produziert wurde.
Die größte Kritik jedoch kommt von Tierschützern, die sich von der Einführung des Labels viel mehr versprochen hatten. Denn über das tatsächliche Wohl der Tiere, über ihre Gesundheit, z.B. über den Einsatz von Medikamenten bis hin zum Transport zum Schlachtort und auch über die Schlachtung selbst sagt das neue Siegel nichts aus. Im Gegenteil – die gesetzlichen Mindestanforderungen, die von artgerechter Haltung meilenweit entfernt sind, werden mit den neuen Namen beschönigt und dem Konsumenten als Verbesserung verkauft. Wer sich nicht täuschen lassen will, sollte am besten von Aufschnitt über Wurst und Steak bis hin zum Festtagsbraten auf pflanzliche Alternativen zurückgreifen.