Tierschutzfälle mit Nutztieren

Tierschutzfall in Gosen

Im Januar 2006 entdecken wir bei einer Tierschutzkontrolle mindestens 15 tote Schafe auf einer großen Weidefläche in Gosen bei Berlin.

Foto: © aktion tier, Ursula Bauer

Im Januar 2006 entdecken wir bei einer Tierschutzkontrolle mindestens 15 tote Schafe auf einer großen Weidefläche in Gosen bei Berlin. Die Tierkörper sind achtlos auf einen Haufen geworfen. Direkt angrenzend ziehen zahlreiche, abgemagerte Highland-Rinder, Pferde, Schafe und Ponys über die mit Schneefeldern durchsetzte Fläche auf der Suche nach Nahrung. Der Boden ist gefroren, nur stellenweise finden sich. Bereiche mit spärlichem Grasbewuchs. 

März 2005: Eine Tierfreundin aus Gosen hat uns den Hinweis gegeben, dass in der Aue am Naturschutzgebiet „Wernsdorfer See“ seit vielen Jahren Tiere unter schrecklichenBedingungen gehalten werden. Wir sind schockiert, als wir das erste Mal an der Koppel stehen. Außer einigen blattlosen Laubbäumen gibt es weit und breit keinen Unterstand.

Auf dem Gelände verstreut liegt Schrott, Glas und Bauschutt herum, die Tiere sind einer permanente Verletzungsgefahr ausgesetzt. Später erfahren wir, dass hier zu DDR-Zeiten Müll im großen Stil in die Aue gekippt wurde. Man hat die Deponie dann mit einer dünnen Schicht Erde bedeckt. Die Unkrautflur, die sich auf derartigen Standorten bildet, soll nun die zahlreichen Weidetiere ernähren.

In der Mitte der weitläufigen Koppel liegt Stroh – offensichtlich das einzige Futter. Es ist grau, muffig und alt. Die Tiere schlafen darauf, fressen können sie es nicht mehr. Die Highland-Rinder sind so mager, dass man die Hüftknochen und Rippen sehen kann. Die Klauen sind in einem schlechten Zustand, ein schwarzes Jungtier ist offensichtlich verletzt und schleppt das linke Hinterbein nach. Auch bei den Pferden stellt unsere Vereinstierärztin Inken Höhne erhebliche Ernährungsdefizite fest. Die meisten Tiere haben infolge Parasitenbefalls aufgeblähte Bäuche und sind derart dünn, dass die Hüfthöcker hervorstehen und sich die Rippen deutlich abzeichnen. Die Hufe sind viel zu lang, ausgefranst und rissig. Einige Pferde laufen daher bereits schief. Außerdem ist die gesamte Umzäunung unzureichend und tierschutzwidrig. Teilweise ist der Zaun so stark zusammengedrückt, dass die Tiere die Weide verlassen können. Anwohner erzählen uns, dass tatsächlich immer wieder Pferde und Rinder auf der angrenzenden Straße herumirren und von der Polizei eingefangen werden müssen.

Offenkundige Verstöße gegen das Tierschutzgesetz

Wir können nicht glauben, dass diese Zustände, die bereits Anfang 2005 durch private Tierfreunde beim zuständigen Veterinäramt angezeigt worden waren, vom Amtstierarzt als „völlig in Ordnung“ bezeichnetwurden. Zurück in unserer Berliner Geschäftsstelle formulieren wir eine Anzeige wegen schlechter Tierhaltung, legen Beweisfotos bei und fordern den Amtsveterinär auf, den offenkundigen Verstößen gegen das geltende Tierschutzgesetz unverzüglich nachzugehen und die erforderlichen Maßnahmen zum Schutz der Weidetiere zu ergreifen. Keine Antwort. Nach drei Wochen fragen wir telefonisch nach. Man teilt uns mit, dass die Tierhaltung zugegebenermaßen problematisch, die Verwahrlosung der Tiere jedoch mit einem längeren Krankenstand des Tierhalters ausreichend begründet sei. Man hätte Auflagen erteilt, über deren genauen Inhalte und Laufzeiten jedoch keine Auskunft erteilt würde.

Mai 2005: Bei unserem Kontrolltermin im Mai können wir keinerlei Verbesserungen feststellen. Da es mittlerweile Frühling geworden ist und das Gras wächst, ist der Ernährungszustand der Tiere etwas besser, obwohl nach wie vor nur fauliges Stroh auf der Weide zu finden ist. An einer Stelle hat der Halter frisches Brot und Kuchen, eine für Tiere schädliche Nahrung, hingeworfen. Es wurden in der Zwischenzeit weder die Zäune repariert noch die Fläche entmüllt. Viele Tiere sind trächtig oder haben bereits ihre Jungen zur Welt gebracht. Diejenigen Pferde, die wir an den Koppelrand locken können, haben Durchfall und nach wie vor viel zu lange und tief eingerissene Hufe. Wir umrunden die Koppel und machen immer wieder Beweisfotos von den erbarmungswürdig mageren Tieren. Plötzlich ertönt aus einem fensterlosen und nach allen Seiten hin geschlossenen Container am Rand der Weidefläche zweistimmiges Hundegebell. Die absolut tierschutzwidrig verwahrten Hunde kündigen Besuch an. Tatsächlich nähert sich ein großer brauner Lieferwagen. Ein Mann steigt aus, beobachtet uns mit dem Fernglas, fährt wieder davon.

Aggressiver Tierhalter

Obwohl wir uns bei unseren Tierschutzkontrollen immer korrekt verhalten ist es häufig ratsam, die direkte Konfrontation mit den Tierhaltern zu vermeiden. Und jetzt sagt uns unser Gefühl ganz deutlich, dass es an der Zeit ist, zu verschwinden. Als wir an unser Auto kommen, versperrt uns prompt der braune Lieferwagen den Weg. Ein bulliger Mann mittleren Alters möchte wissen, was wir bei seinen Pferden zu suchen haben. Als wir ihm ruhig erklären, dass er seine Tiere nicht ordnungsgemäß versorgt, rastet er buchstäblich aus, greift uns brüllend an, entreißt uns Fotoapparat und Autoschlüssel, verletzt unsere Tierärztin an der Schulter. Wir retten uns ins Auto und verständigen die Polizei. Bis diese eintrifft, schlägt der cholerische Tierhalter weiter auf unser Auto ein und ruft per Handy Leute an, die ihm mit den „durchgeknallten Tierschützern“ helfen sollen. Schließlich werden wir von der Polizei gerettet, verbringen den Abend auf der Wache und verfassen eine weitere Anzeige an das Veterinäramt. Da der Tierhalter offensichtlich nicht vor hat, die erteilten Auflagen zu erfüllen und die Tiere nach wie vor in einer sehr schlechten körperlichen Verfassung sind, raten wir dem Amtstierarzt nun, von seinem Recht auf Wegnahme der Tiere umgehend Gebrauch zu machen und aufgrund der massiven Verstöße gegen das Tierschutzgesetz ein Tierhaltungsverbot auszusprechen.

Darauf hin bietet man uns einen gemeinsamen Ortstermin an, bei dem wir uns alle Tiere genau ansehen könnten. Dieser Besprechungstermin mit zwei Amtstierärzten und dem gewalttätigen Tierhalter gerät jedoch zur Farce. Wir stellen zu Beginn klar, dass wir aufgrund des Angriffs und der laufenden Strafverfahren nicht mit dem Tierhalter sprechen möchten. Darauf erwidern die Amtstierärzte, dass wir uns die Tiere nur ansehen könnten, wenn wir den Halter um Erlaubnis bitten würden. Es ist überdeutlich, dass die Beamten nicht möchten, dass wir den Tierbestand genauer untersuchen. Andernfalls hätte man uns leicht als Helfer mit auf die Fläche nehmen können, da ein Amtstierarzt und seine Gehilfen das gesetzliche Recht haben, Tiere und Haltungen auch ohne das Einverständnis des Tierhalters zu begutachten. So können wir nur zwei junge Pferde näher betrachten, die in einem engen Gatter ohne natürlichen Bewuchs gehalten wurden. Auf die viel zu langen und stark eingerissenen Hufe angesprochen antwortet der Amtstierarzt: „Ja, was soll ich denn da tun? Das ist doch die Sache des Halters“. Wie bitte? Wir weisen den Tierarzt darauf hin, dass es sich hier um einen Verstoß gegen das Tierschutzgesetz handelt, worauf dieser entgegnet, dass er keine diesbezüglichen Auflagen erteilt hätte und auch keinen Handlungsbedarf sieht.

Unqualifizierte Antworten und desinteressiertes Schulterzucken

Nächstes Thema – die unsachgemäße und stellenweise defekte Einfriedung, welche ebenfalls einen Verstoß gegen das Tierschutzgesetz sowie gegen die Leitlinien zur Beurteilung von Pferdehaltungen darstellt. Das selbstgefällige Statement des leitenden Amtstierarztes: „Ich akzeptiere diese Art der Einfriedung“. Was soll man dazu sagen? Wie jeder kompetente und mit den Gesetzen vertraute Veterinär weiß, muss auf einer Weide ein Witterungsschutz vorhanden sein, den alle Tiere gleichzeitig aufsuchen können. Der Kommentar der Amtstierärzte hierzu: „Das Vorhandene – einige Laubbäume – ist ausreichend. Pferde sind doch Steppentiere!“. Wir können uns ein Grinsen nicht verkneifen. Bezüglich der Müll- und Schuttberge lässt uns einer der Beamten schließlich wissen, dass er Pferde für so intelligent halte, dass sie sich schon nicht verletzen würden. Der erschreckend schlechte Ernährungszustand der Weidetiere, den wir seit März dokumentiert haben, kommentiert man dann mit einem: „Was interessieren uns die Bilder vom Winter. Und außerdem geht es den Tieren ja jetzt besser“. Ja, weil das Gras inzwischen gewachsen ist. Auf die Frage, wie es dann im kommenden Winter weitergehen soll, folgt desinteressiertes Schulterzucken. Uns fällt auf, dass die Vertreter des Veterinäramts sehr schlecht über den angeblich schon jahrelang betreuten Tierbestand Bescheid wissen. So kann man uns nicht sagen, warum der Tierhalter so wahllos und unprofessionell derart viele verschiedene Tierarten hält. Auch die genaue Anzahl der gehaltenen Tiere ist den Beamten nicht bekannt. Im Verlauf des Gesprächs bekommen wir immer mehr den Eindruck, mit den persönlichen Anwälten des Tierhalters und nicht mit unabhängigen Amtstierärzten zu sprechen, die das Gesetz zum Wohle der Tiere vertreten. Keinem unserer Kritikpunkte wird nachgegangen, obwohl man gemeinsam vor Ort alles hätte sofort in Augenschein nehmen können. Statt dessen wird uns von den Beamten ständig „übertriebener Tierschutz“ vorgeworfen, so dass wir dieses unbefriedigende Gespräch schließlich beenden.

Zwei-Klassen-Tierschutz?

Juni 2005: Empört über die Arroganz der Amtstierärzte formulieren wir eine Beschwerde wegen Untätigkeit. Im Antwortschreiben des zuständigen Landrats geht es primär um leere Kassen, zurückgehende Personalausstattung und erhöhtes Arbeitsaufkommen. Auf unsere Kritikpunkte geht der Landrat nur sehr vage und ausweichend ein. Statt konkreter Antworten, Zahlen und Fakten beispielsweise zu eventuellen Auflagen erfahren wir, dass die desolate Tierhaltung in Gosen erstaunlicherweise in einem landwirtschaftlichen Zusammenhang steht und der Tierschutz unter den Bedingungen der landwirtschaftlichen Produktion grundsätzlich anderen Maßstäben unterliegt als die tierindividuelle Betrachtungsweise, die uns als Tierschutzorganisation angeblich zu eigen ist. Organisationen wie unsere hätten ein „besonderes Tierschutzanliegen“, da sie das Tier immer im Zentrum einer „freizeitsportlichen Betätigung“ sehen würden. Falsch, für Tierschützer gibt es keinen Zweiklassentierschutz. Jedes Tier ist gleichwertig, egal, ob Hauskatze im Bungalow oder Rind in der Massentierhaltung. Und jedes einzelne Tier hat, unabhängig vom Hintergrund der Haltung, ein Recht auf den Schutz, den die wenigen vorhandenen Gesetze und Verordnungen ihm bieten. Die von den Amtstierärzten demonstrierte und von ihrem Dienstherrn mitgetragene Haltung, dass der Anspruch an die Einhaltung bestehender Tierschutzgesetze nach eigenem Ermessen auf ein Minimum reduziert werden kann, ist skandalös. Leider begegnen wir dieser Mentalität jedoch relativ häufig. Je mehr Tiere gehalten werden und je schlimmer die Zustände sind, umso eher wird weggesehen und der Fall im wahrsten Sinne des Wortes ausgesessen.

Mit dem Fernsehteam von Pro 7 auf der Gruselweide

Januar 2006: Unsere schlimmsten Befürchtungen sind Realität geworden. 15 tote Schafe liegen vor uns. Der unterschiedliche Verwesungszustand der Tierleichen zeigt, dass seit etwa November 2005 immer wieder einzelne tote Tiere an der Fundstelle abgelegt wurden. Als wir uns die Restherde ansehen, fallen gleich zwei Schafe auf, die röcheln und sich kaum noch auf den Beinen halten können. Sie werden wohl als nächste sterben. Wir schalten die Presse ein und finden, ein Fernsehteam von PRO 7 im Schlepptau, weitere Schädel und Knochen von mindestens sieben Tieren auf der gesamten Schafweide verteilt. Ein ortskundiger Jäger, den wir zufällig im angrenzenden Wald treffen, berichtet, dass er seit Mai 2005 immer wieder tote Schafe auf der Weide liegen sah. Die Kadaver sind an Ort und Stelle langsam verwest, jetzt ragen nur noch die blanken Gerippe aus dem Schnee. Das Fernsehteam spricht seither nur noch von der „Gruselweide“. Der von uns initiierten Pressewirbel ruft schließlich eine Vertreterin des Veterinäramts Beeskow auf den Plan. Während des Ortstermins untersucht die Veterinärin weder die sehr kranken Schafe noch den Rest der Herde. Sie verspricht jedoch, dass eine in Gosen niedergelassene Tierärztin mit der Pflege der kranken Tiere beauftragt würde. In den nächsten Tagen erfahren wir dann, dass die 15 von uns entdeckten Schafe an einem „Fütterungsfehler“ gestorben seien. Falsch, die Tiere sind gestorben, weil der Halter keinen Tierarzt gerufen hat. Ein klarer Verstoß gegen § 2 Tierschutzgesetz. Wer seine Tiere falsch füttert und bei eindeutigen Anzeichen von Krankheit keinen Tierarzt ruft, sondern ruhig abwartet, bis die Tiere verenden, hat nicht die erforderliche Kompetenz zur Tierhaltung. Diagnose: unbekannt Konsequenz: keine Das Veterinäramt sieht indes nach wie vor keine Veranlassung für eine Beschlagnahmung der Tiere geschweige denn für ein Tierhalteverbot. Als Ordnungswidrigkeit wird lediglich geahndet, dass der Tierhalter die toten Tiere nicht gemeldet und ordnungsgemäß entsorgt hat. Mit einem Bußgeld von 2.000 EUR hat sich somit die Sache erledigt. Derweil geht das Sterben in Gosen weiter. Inzwischen musste eines der kranken Schafe notgeschlachtet werden.

Diagnose: unbekannt, Konsequenz: keine.

Wir bleiben in Gosen am Ball, das sind wir den Tieren schuldig. Unser Ziel bleibt die Beschlagnahmung aller Weidetiere. Inzwischen haben wir auch genug Privatpersonen, Landwirte und Kooperationspartner gefunden, welche die Tiere bei sich aufnehmen könnten. Als nächstes steht ein Gespräch im Brandenburger Verbraucherschutzministerium in Potsdam auf dem Programm. Man soll uns erklären, warum jemand ungestraft Tiere derart schlecht behandeln darf und dafür auch noch regelmäßig Fördermittel vom Land Brandenburg erhält. Danach geht es weiter mit Kontrollen vor Ort, Anzeigen und Pressemitteilungen. Wir werden nicht eher ruhen, als bis dem kriminellen Tierhalter das Handwerk gelegt ist.

Ursula Bauer

Diplom-Biologin bei aktion tier – menschen für tiere e.V.