Projekt Kitty | Hauskatzen

Warum man eine gute Katzenhaltung nicht bei Google findet

„Das Internet ist wie eine Welle!“, sagte einst Bill Gates, der Gründer des Computerkonzerns Microsoft, „Entweder man lernt darin zu schwimmen, oder man geht unter!“ Harry Kindt, Leiter von Deutschlands einziger Straßenkatzen-Babystation und seit mehr als 30 Jahren im Katzenschutz tätig, ist selbst lieber offline und schon aus diesem Grund noch nicht in den digitalen Wellen untergegangen. Und doch hat es fast täglich mit „online ertrunkenen“ Katzenhaltern zutun.

Es ist Anfang Mai und in der aktion tier- Straßenkatzenbabystation im brandenburgischen Glindow ist es richtig voll. Eine Straßenkatze hatte in der Nacht Junge bekommen. Glück für die Katze, sie musste ihre Kitten nicht irgendwo auf einem verlassenen Industriegelände oder in einem dunklen Schuppen gebären, so wie es das Schicksal von noch immer viel zu vielen verwilderten Hauskatzen ist. Etwa 10 Wochen wird die Straßenkatzenmutter ihre Kleinen in der Sicherheit der Katzenstation von aktion tier e.V. großziehen. Anschließend wird sie im Rahmen des vereinseigenen Straßenkatzen-Hilfsprojektes „Kitty“ kastriert und wieder an ihrer Futterstelle freigelassen. Es macht schließlich keinen Sinn, eine wilde, scheue Katze länger als nötig einzusperren. Unabhängig von dem daraus resultierenden Leid für die Katze wären ihre Vermittlungschancen aussichtslos. Wer möchte schon eine wilde Katze Zuhause haben?

Immer wieder kommen auch mutterlose Kitten in die Station. So wie die, die jemand in einem zugeschnürten Sack in den Mülleimer einer Bushaltestelle geworfen hatte. Der Wurf überlebte nur knapp und dank der Intensivpflege von Harry Kindt, dem Leiter der Katzenbabystation und Vorstandsvorsitzenden des „Berliner Katzenschutz e.V.“, auf dessen Vereinsgelände sich die Straßenkatzenbabystation befindet. Die Handaufzuchten, also Kitten ohne Mutter, nimmt Kindt mit nach Hause, denn sie brauchen alle vier Stunden die Flasche. Ein wochenlanger Knochenjob, den er erfahrene Katzenexperte anders nicht bewältigen könnte. Wenn die Kleinen nach vielen kurzen Nächten dann über den Berg sind und die ersten tapsigen Schritte machen, erhält Herr Kindt den Lohn für seine Mühen. Es gibt wohl wenig Herzerwärmenderes als gesunde Katzenkinder, die die Welt entdecken. Sie beim größer werden zu beobachten, ein Teil davon zu sein, das ist der schöne Teil seiner Arbeit. Der, um den Herr Kindt viele beneiden.

Die Kehrseite der Medaille

Doch es gibt wie immer im Leben auch eine andere Seite. Die der Fassungslosigkeit, wenn man wenige Tage alte Kitten aus einer Mülltonne befreit. Die Nächte, die sich Familie Kindt Fläschchen gebend um die Ohren schlägt. Die Resignation, wenn man feststellt, dass es eines der Kleinen es trotzdem nicht schaffen wird. Oder, wenn Herr Kindt ganz ehrlich ist, auch der Tag, an dem die mühsam aufgezogenen Katzenwelpen endgültig in ein schönes, neues Zuhause ziehen (und er „auf Grund wichtiger Termine“ bis heute manchmal verhindert ist). Auch wenn es schwer ist, beim Anblick der niedlichen Kitten im Aufzuchtzimmer auch nur einen negativen Gedanken zu entwickeln, so ist die Sache im Grunde sehr traurig. Denn die Aufzucht von Kitten bedeutet immer, dass irgendwann zuvor ein Mensch fürchterlich versagt hat. Weil er seine unkastrierte Katze rausgelassen hat. Weil er sein Tier nicht mehr wollte und aussetzte. Weil er sich einem Wurf Kitten auf einfache Art und Weise entledigte, indem er sie im wahrsten Sinne des Wortes wegschmiss.

Die Aufzucht von Kitten in der Station bedeutet immer, dass irgendwann zuvor ein Mensch fürchterlich versagt hat.

Harry Kindt hat in den vielen Jahren, die er schon mit Katzen zu tun hat, unzählige traurige Katzenschicksale erlebt. „Es wäre schön, wenn dieser Teil meiner Arbeit irgendwann überflüssig würde!“, sagt er, während er im Aufzuchtzimmer sitzt und einer kleinen schwarzen Kitte das Fläschchen mit Aufzuchtmilch in den Mund schiebt. All ihre Geschwister fressen schon selbst, doch das Kleine ist einfach noch nicht soweit. „Es sollte keine Katzen geben, die auf der Straße geboren werden! Und auch keine, die unkastriert sind.“, meint er. „Jede einzelne von ihnen ist das Opfer menschlicher Verantwortungslosigkeit! Auch dieses Kleine hier!“

Und Leben und Sterben auf der Straße ist alles andere als leicht. Die wenigsten Straßenkatzen schaffen es in die vorübergehende Obhut von aktion tier. Das wirkliche Elend findet im Verborgenen statt, wo Katzenbabys in dunklen Schuppen elendig verhungern, weil die Mutter überfahren worden ist, oder geplagt von schwerem Katzenschupfen ein Leben auf der Straße fristen müssen.

Deswegen geht es beim aktion tier Projekt "Kitty" und der Straßenkatzen-Babystation um so viel mehr als das Fläschchen geben und niedliche Kitten. Es geht um Informationsarbeit und darum, jeden einzelnen Besucher über das Thema Kastration und Katzenschutz aufzuklären. Es geht darum, Fragen zur Katzenhaltung zu beantworten und Hilfestellung zu leisten, damit die Tierheime nicht noch voller werden. Und es geht darum, mit falschen Gerüchten und der Bequemlichkeit so manchen Katzenhalters aufzuräumen. Denn die Informationsbeschaffung wird heute größtenteils über das Internet vollzogen – und das birgt Gefahren.

Schiffbruch mit (Stuben)Tiger: Vom Untergang in einer Welle aus Expertenmeinungen

Mit Falschaussagen und Bequemlichkeit wird Harry Kindt fast täglich konfrontiert. Meistens klingelt dann das Telefon in der Station, weil wieder jemand in den Wellen des Internets Schiffbruch erlitten hat. Und mit den Worten „Ich habe im Internet gelesen, dass…“ beginnt. Dann merkt auch Harry Kindt wieder einmal, dass man dem WorldWideWeb nicht entfliehen kann. Selbst, wenn man offline ist. „Eines der größten Probleme des Internets ist, dass sich jeder als ‚Experte‘ bezeichnen und dann seine Meinung kundtun kann.“, meint Kindt, während er die kleine Katze vorsichtig wieder auf den Boden zurücksetzt. Das Fläschchen ist leer getrunken, und sie tapst scheinbar zufrieden zurück zu den anderen. „Es gibt abertausende Foren in den Sozialen Netzwerken, in denen sich Menschen zusammenfinden, um sich über Katzen auszutauschen. Auch wenn sie noch nie eine hatten.“ Er steht auf und geht hinüber zu den beiden Katzentoiletten, um sie zu säubern. „Wissen Sie, es fragt ja im Internet niemand nach der Qualifikation. Sie stellen in so einer Gruppe eine Frage und erhalten zwanzig verschiedene Antworten! Oder Sie machen sich den Spaß und suchen bei Google nach >Meine Katze pinkelt in die Wohnung<. Sie erhalten 137.000 Treffer.“ Gekonnt schippt er mit der Schaufel die Klümpchen aus dem Streu. „Oft rufen die Leute dann völlig verunsichert bei uns an, weil sie einfach nicht mehr wissen, wem sie glauben sollen. Und weil das Problem trotz zahlreicher verschiedener Online-Ratschläge noch immer nicht gelöst ist!“

Die Kunst heute ist nicht mehr, sich Informationen zu beschaffen, sondern diese zu filtern.

Es ist kaum verwunderlich, ja fast vorprogrammiert, dass vielen Katzenhaltern im Informationswust des Internets der Überblick fehlt. Die Kunst heute ist nicht mehr, sich Informationen zu beschaffen, sondern diese zu filtern. Eben auf der Welle zu schwimmen, von der Bill Gates einst sprach. Wer das nicht schafft, erleidet Schiffbruch in den Wellen und strandet nicht selten bei Herrn Kindt.

Unglücklicherweise führt die große Bandbreite an Meinungen und Informationen nicht nur dazu, dass die Fragenden unsicher werden oder gar zu völlig falschen Mitteln greifen. Sie bewirkt auch, dass Falschaussagen sich rasend schnell verbreiten. In der Folge haben wieder zahlreiche Tierbesitzer das gleiche, eigentlich von ihren eigenen Ratschlägen verursachte Problem, über das sie dann wiederum in der Facebook-Gruppe diskutieren. Für die betroffene Katze jedoch ändert sich leider nichts.

Schiffbruch verhindern: Beobachten statt fragen

Kindt sieht die Ursache des Problems nicht im Internet, sondern vor allem bei der Einstellung der Menschen selbst. Denn der Schiffbruch mit dem Stubentiger sollte bei einer guten Katzenhaltung von Anfang an verhindert werden, bevor erst Tierleid entstehen kann. Dann müsste man auch nicht im Internet nach Problemlösungen suchen. Ein Ansatz, den aktion tier e.V. seit jeher vertritt. „Es geht mir gar nicht darum, dass es per se schlecht ist, online Rat zu suchen!“, meint er. „Aber immer mehr Menschen wählen den vermeintlich einfachen Weg und verlassen sich darauf, was ihnen erzählt wird. Darüber scheinen sie die Fähigkeit zu verlieren, ihr Tier zu beobachten und Veränderungen rechtzeitig zu erkennen!“ Er zuckt mit den Schultern und legt die Schippe zurück an ihren Platz. Alle drei Katzenklos in der Aufzuchtstation sind sauber. Kindt setzt sich wieder auf den Boden und stupst mit dem Finger den kleinen, gelben Plastikball an, auf den sich sogleich ein Katzenkind stürzt.

„Die Menschen sind immer weniger Willens, sich mit ihrem Tier wirklich auseinanderzusetzen, es zu beobachten und immer wieder zu überprüfen, ob es wirklich zufrieden ist. Missstände werden dadurch viel zu spät erkannt.“, fährt er fort. „Nämlich erst dann, wenn die Katze sich unübersehbar deutlich zu Wort meldet, weil sie beispielweise in die Schuhe pinkelt oder das Sofa zerkratzt. Dann wird schnell das Tablet aufgeklappt und das Internet befragt. Doch dann ist es ja eigentlich schon zu spät.“

Spätestens, wenn nach der Befragung von Suchmaschine oder Community das Problem nicht gelöst ist, führt der Weg zu einem Tierschutzverein wie aktion tier oder dem Berliner Katzenschutz und damit unweigerlich zu Herrn Kindt. Entweder, um offline bei Herrn Kindt nach finalem Rat zu suchen. Oder aber, weil die Katze abgegeben werden soll. Wenn die Internetcommunity nicht weiterweiß, muss es ja am Tier liegen. Und das muss dann eben weg, wenn es nicht mehr bequem ins Leben passt.

Als Beweis für diese These muss man nur einmal in ein Tierheim fahren und sich die zahlreichen Katzen mit einem „nicht gelöstes Problem“ anschauen. Die, die unsauber waren, auf Grund falscher Fütterung nierenkrank sind oder einfach aggressiv, weil der Halter ihnen keinen Freiraum gelassen hat. Die, die irgendwann im Tierheim aufgeben und nie wieder ein liebevolles Zuhause finden.

Gute Tierhaltung findet man nicht im Internet

Eins ist klar: Das Internet bedeutet nicht die Lösung aller Probleme. Schon gar nicht beim eigenen Haustier. Es bietet eine Fülle von Möglichkeiten, aber eben auch ein endloses Chaos an wahren und unwahren Informationen. Es verleitet leicht zu Fehleinschätzungen und dazu, Unwahrheiten zu glauben und zu transportieren.

Für eine gute Katzenhaltung gibt es nun mal kein Einheitsrezept. Man kann sie auch nicht im Internet downloaden und Zuhause installieren. Was dagegen wirklich hilft, ist der eigene Verstand, eine Beobachtungsgabe und vor allem der Wille, sich mit seinem Tier auseinanderzusetzen. Und zwar immer wieder aufs Neue. Denn so kann der Schiffbruch mit dem Stubentiger verhindert werden.

Für eine gute Katzenhaltung gibt es nun mal kein Einheitsrezept. Man kann sie auch nicht im Internet downloaden und Zuhause installieren.

„Nehmen Sie sich die Zeit und schauen Sie Ihre Katze genau an, und zwar jeden Tag!“, rät auch Katzenexperte Harry Kindt jedem Tierbesitzer. „Wenn Sie feststellen, etwas stimmt nicht mit Ihrem Tier, gehen Sie zum Tierarzt. Warten Sie nicht, bis es zu spät ist. Und lassen Sie das mit der virtuellen Facebook-Gruppe. Fragen Sie lieber gleich jemanden persönlich, der zweifelsfrei Ahnung von Katzen hat und der ihr Tier am besten schon kennt. Und das ist im ersten Schritt der Tierarzt Ihres Vertrauens!“

Auch Harry Kindt und sein Team stehen für Beratungsgespräche zur Verfügung, wenn Hilfe gebraucht wird. Nach Jahrzehnten im Katzenschutz, tausenden mit der Flasche aufgezogenen Kitten und Tätigkeiten in verschiedenen Katzenvereinen kann man Harry Kindt wohl zweifelsfrei als Experte auf seinem Gebiet bezeichnen.

Und was ist nun sein goldener Expertenratschlag für Katzenhalter? Kindt lächelt bei dieser Frage. Sein liebevoller Blick schweift über die Katzenkinder, die in seinem Aufzuchtzimmer miteinander spielen und dank seiner Mithilfe ihr ganzes Leben noch vor sich haben. „Vertrauen Sie auf sich und Ihre eigene Beobachtungsgabe. Handeln sie rechtzeitig.“, sagt er schließlich. „Denn auf Sie selbst und die Liebe zu Ihrem Tier ist weit mehr Verlass als auf die unendlichen Weiten des Internets!“

Sandy Both