Säugetiere

Zwischen Kanalisation und U-Bahnschacht

Berlin und Paris gelten als Städte der Ratten – nicht erst seit dem Bestseller des Berliner Kabarettisten Horst Evers, der den Nagern mit seinem Krimi „Der König von Berlin“ 2012 ein literarisches Denkmal setzte. Zum König wird in seinem Buch allerdings nicht die Ratte, sondern der oberste Kammerjäger, der mit einem ausgeklügelten System die Population der Tiere und damit seine Auftragslage steuern kann.

Ratten in der Großstadt
Wildlebende Ratten haben einen schlechten Ruf - doch ist das wirklich gerecht? Foto: Simon / Lizenz: CC0 1.0 Universell

Wenn es nach Evers’ Vorlage ginge, hätte Berlin rund 200 Könige – so viele Arbeitsplätze sichern die Ratten etwa allein in der Hauptstadt. Wie viele Ratten es gibt, ist ungewiss, die Schätzungen gehen weit auseinander – Experten rechnen jedoch damit, dass in Berlin etwa so viele Ratten wie Einwohner leben (Haustiere ausgenommen), höchstwahrscheinlich sogar deutlich mehr. Noch drastischer sind die Zahlen aus Paris: In der Innenstadt der französischen Metropole leben etwa zwei Millionen Menschen – und fast sechs Millionen Ratten. Genaue Zahlen gibt es nicht, doch aufschlussreich sind nicht nur Schätzungen, auch die Einsätze von Kammerjägern können gezählt werden.

Seit 2011 müssen „pflichtige Personen“, also Angestellte, Eigentümer etc. die Sichtung von Ratten in Berlin dem Gesundheitsamt melden. 2011 wurden von Mitgliedern des Deutschen Schädlingsbekämpferverbands in der Hauptstadt knapp 4.000 Einsätze ausgeführt, 2012 waren es mit über 7.000 fast doppelt so viele. 2013 ging die Zahl leicht zurück, doch die Dunkelziffer dürfte ohnehin höher liegen – nicht alle Ratten werden gemeldet, nicht alle Kammerjäger sind im Bundesverband organisiert. Ratten haben kein gutes Image und gelten als Krankheitsüberträger, dank der gut ausgebauten Kanalisationen und UBahn- Netze fühlen sie sich in den Großstädten pudelwohl. An Nahrung mangelt es nicht, Abfallcontainer sind für sie fast überall zugänglich. Weggeworfene Lebensmittel finden sich insbesondere in den Innenstädten zudem fast überall. Für den schnellen Anstieg der Population ist neben den optimalen Bedingungen maßgeblich auch die hohe Reproduktionsrate verantwortlich: Schon mit zwei bis drei Monaten werden Wanderratten geschlechtsreif, nach einer kurzen Tragzeit von durchschnittlich nur 23 Tagen bringen die Weibchen acht bis zwölf Junge auf die Welt – bis zu sieben Würfe kann ein Weibchen pro Jahr haben. Wanderratten vermehren sich sehr schnell, aber sind sie wirklich so gefährlich und ansteckend?

Ihren schlechten Ruf haben die Ratten wohl seit der Zeit der großen Pestepidemien des Mittelalters, die sich durch die Übertragung des Rattenflohs von der Ratte auf Menschen ausbreiteten. Heute ist die Pest in Europa ausgerottet, lebensgefährliche Krankheiten kann die Ratte nicht übertragen. Dennoch können Wanderratten an der Verbreitung von z. B. Salmonellen oder auch an der Ausbreitung von Tierseuchen wie der Schweinepest beteiligt sein, warnt das Gesundheitsamt. So sind die Ratten in den Städten zwar nicht vollkommen ungefährlich, als potenzielle Überträger von vergleichsweise harmlosen Durchfal lerkrankungen oder Ähnlichem aber erfüllen sie ihr schlechtes Bild bei Weitem nicht. Eine deutlich höhere Gefahr für Menschen und auch Haus- und andere Wildtiere wie Vögel, Füchse, Marder u. a. jedoch kann von ausgelegtem Rattengift ausgehen. Da Rattengift für alle Tiere – auch den Menschen – lebensgefährlich sein kann (und im Fall der Ratten ja auch sein soll), darf es seit dem 1. Januar 2013 nicht mehr auf dem freien Markt verkauft werden, der Zugang ist geschulten Fachleuten wie Schädlingsbekämpfern oder Landwirten mit besonderem Sachkundenachweis vorbehalten. In der Regel wird Rattengift nur in deutlich gekennzeichneten, besonders gesicherten Boxen verwendet, die wettergeschützt sind und so einen vermeintlich sicheren Unterschlupf bieten. Ratten sind hochintelligent, darum wurde in den letzten Jahren auch die Entwicklung der Giftköder immer weiter vorangetrieben: Wenn Ratten in unmittelbarer Nähe des Köders verenden, meidet die gesamte Gruppe das Gift; moderne Köder enthalten daher Blutgerinner, die einen „altersähnlichen“ Tod bewirken sollen – das Tier stirbt erst einige Stunden oder Tage nach der Aufnahme. Auch wenn öffentlich ausgelegte Rattenfallen immer deutlich gekennzeichnet sind, kommt es immer wieder zu Unfällen oder auch zu Missbrauch. Leidtragende sind dann meist Hunde oder Katzen, die mit präparierten Giftködern angelockt werden. 

Wer Wanderratten auch ohne Gift fernhalten möchte, sollte darauf achten, keine Lebensmittelabfälle herumliegen zu lassen, Fenster, Türen, Dächer und Böden gut zu sichern und vor allem keine Speisereste in den Ausguss oder die Toilette zu geben – denn dies könnte Ratten aus der Kanalisation bis in die Wohnung locken. Auch wenn sie nicht wirklich gefährlich sind – eine Ratte in der Toilette könnte doch einen ordentlichen Schrecken einjagen, den sich so wohl niemand wünscht.

Jan Peifer