Massentierhaltung

Die Würde der Tiere ist (un-)antastbar

„Wir versuchen, Tiere an ein Haltungssystem anzupassen, in das sie nicht gehören.“ So beschrieb die hessische Landestierschutzbeauftragte Madeleine Martin für eine aktuelle Dokumentation die Zustände in der modernen Massentierhaltung. Dr. Hermann Focke, ehemaliger Veterinäramtsleiter, kommentierte: „Die legalisierte Mast ist nicht artgerecht.“ Die Missstände in der Intensivtierhaltung sind ein trauriges Beispiel für den Umgang mit Tieren. Obwohl der Tierschutz seit über zehn Jahren im Grundgesetz steht, prangern nicht nur militante Tierschützer, sondern auch ausgewiesene Fachleute den fehlenden Respekt vor den Mitgeschöpfen an.

Hauskaninchen
Foto: Ursula Bauer

Aus der konventionellen Landwirtschaft in den Köpfen vieler Verbraucher ist zum großen Teil eine durchgeplante Agrarindustrie geworden. Für Rücksicht auf die Bedürfnisse einzelner Lebewesen ist meist kein Platz mehr. In Mastanlagen mit Tausenden von Schweinen und Zehntausenden Hühnern oder Puten kann der Betrieb nur noch mit dem massenhaften Einsatz von Antibiotika gewährleistet werden. Zwar ist der Einsatz als Wachstumsförderer EU-weit verboten, doch wird der Effekt bei der Bekämpfung von Seuchenausbreitung gerne in Kauf genommen (und das Risiko resistenter Keime auf den Konsumenten übertragen). Dennoch wird eine Sterbequote in jeder Mastperiode eingeplant.

Im Ergebnis bedeutet das oft: noch mehr Enge, noch weniger artgerechte Haltungsbedingungen durch noch vollere Ställe. Die Kaninchenmast ist hier ein negatives Aushängeschild: Bis zu 50 % der Tiere überleben die Mast nicht. Um den Profit nicht zu minimieren, werden die Tierbestände in den Mastanlagen einfach erhöht. Da es noch immer keinerlei gesetzliche Regelungen für die Kaninchenmast gibt, hat die Profitsucht keine Grenzen.

Fehlt es am Bezug zu unseren Mitgeschöpfen?

Immer wieder werden Themen wie die Kaninchenmast auch in der politischen Diskussion geführt – bisher aber mit niederschmetterndem Ergebnis: Im Zuge der Verhandlungen zur letzten Novellierung des Tierschutzgesetzes wurde nicht nur die Einführung von gesetzlichen Standards in der Kaninchenmast komplett gestrichen. Auch ein geplantes Verbot der betäubungslosen Kastration von Mastferkeln konnte nicht durchgesetzt werden, es soll nun im Jahr 2019 kommen. Das Verbot des Schenkelbrands bei Pferden wurde ebenfalls vollständig gestrichen, obwohl es wie die anderen Themen durchaus auch Befürworter in den Führungsreihen der Politik hatte. Doch selbst die bereits geregelten Verordnungen werden nicht zuverlässig durchgesetzt: So gilt etwa seit bereits einem Jahr die geänderte Verordnung zum Betrieb von Pelztierfarmen. Nach dieser muss jedem Nerz auf einer Farm das Zehnfache des bisherigen Platzangebots zur Verfügung stehen. Keine der deutschen Pelzfarmen aber wurde daraufhin umgerüstet. Zwar haben einige Farmer den Betrieb aufgegeben, doch noch immer werden in mehreren Bundesländern Pelzfarmen betrieben, die den gesetzlichen Vorgaben bei Weitem nicht genügen. Der Grundsatz des Tierschutzgesetzes, nach dem keinem Tier ohne „vernünftigen Grund“ Schmerzen zugefügt werden dürfen, gilt nur auf dem Papier. Liegt es an der Macht der Agrarlobby, an der fehlenden Durchsetzungsfähigkeit der Politik? Oder am fehlenden Bezug zur Natur, zu den Tieren, unseren Mitgeschöpfen?

Seit der Mitte des 19. Jahrhunderts wurden die Prozesse auch in der Landwirtschaft in vielen Bereichen mechanisiert, teils haben sie sich verselbständigt. Die Entwicklung der Viehwirtschaft im heutigen Stil, der großen Schlachthäuser, der logistischen Abläufe, der lückenlosen Kühlketten – all das hat zu einer Entfremdung geführt, derer sich heute fast niemand mehr bewusst ist. Aus dem Alltag wurden die sogenannten Nutztiere längst verdrängt, zur Betreuung in Massenfarmen werden trotz steigender Besatzzahlen dank fortschreitender Technisierung immer weniger Arbeitskräfte benötigt. Die Agrarlobby nutzt dieses Phänomen für Werbung und Marketing, glückliche Schweine und Hühner kennen viele Stadtkinder nur noch von Bildern auf der Verpackung von Fleisch und Wurst im Discounter. Dabei ist die Haltung von Tieren zur Fleischgewinnung nur eine Facette im gestörten Verhältnis Mensch - Tier.

Unzählige Tiere leiden und sterben darüber hinaus jedes Jahr in Tierversuchen, das größte Tierversuchslabor in Deutschland soll gerade in Berlin entstehen. Außerdem werden allein in Deutschland Schätzungen zufolge 500.000 Tiere pro Jahr von ihren Haltern ausgesetzt. Vor diesem Hintergrund schaffen es nur noch die schlimmsten Fälle von Tierquälerei in die Medien. Vor wenigen Wochen wurde so ein Fall bekannt: Unter Gelächter hatte ein junger Mann einen lebenden Igel auf einem Grill verbrannt, seither versuchen Tierschützer und Polizei sich an der Aufklärung. Es liegt an uns, den Bezug zu anderen Lebewesen wieder herzustellen, nicht zu verlieren. Gerade darum ist Tierschutzarbeit so wertvoll. Deshalb werden wir uns mit Ihrer Unterstützung auch in Zukunft für die Rechte der Tiere einsetzen.

Ist Fleisch ein Umweltkiller?

Für den Verbraucher ist das abgepackte Stück Fleisch in der Supermarkt-Kühltheke mittlerweile zum Alltag geworden. Wo es aber herkommt, wie es entsteht, das sieht man ihm nicht an. Die Werbung lockt vollmundig mit dem Fleisch als Stück Lebenskraft – doch was steckt wirklich drin an Lebenskraft, an Energie? Und wie viel Energie ist nötig, um es überhaupt zu produzieren? Das letzte, was der Kunde im Supermarkt mit dem oft allzu billigen Fleisch in Verbindung bringt, ist das Lebewesen Tier, von dem es stammt. 

Doch der Anfang der Kette liegt weit zurück; mit dem Anstieg der industriellen Massentierhaltung steigt auch der Bedarf an Futtermitteln. Neben Tiermehl, im Wesentlichen pflanzliche Biomasse. So werden zum Anbau von Futtermais, Sojapflanzen und Futtergetreide immer neue Ackerflächen gerodet. Vor allem in Südamerika werden jährlich immer noch etwa 16 Millionen Hektar Regenwald vernichtet, um Holz, Zellstoff und Platz für noch mehr Rinder zu gewinnen, sowie Felder zum Anbau von Futterpflanzen als Grundnahrung für diese Tiere zu schaffen. Mit dem Regenwald gehen Lebensräume unzähliger Arten unwiederbringlich verloren; gleichzeitig treibt die Rodung den Treibhauseffekt an, da enorme Kapazitäten für die Bindung von CO2 verloren gehen.

Die Fleischproduktion wächst hier unaufhaltsam, wie ein Blick auf die Exporte von Rindfleisch aus Brasilien deutlich macht: Wurden im Jahr 2005 noch 304 600 Tonnen auf dem Weltmarkt abgesetzt, sind es im Jahr 2007 schon über 455 000 Tonnen – eine Steigerung um mehr als 50 Prozent. Bei der so genannten „Veredelung der Nährstoffe“, der Verwertung der pflanzlichen Nährstoffe durch das Tier, gehen ca. 80-90 Prozent der pflanzlichen Eiweiß-Stoffe, der pflanzlichen Proteine sowie 100 Prozent der Ballaststoffe verloren.

Für ein Kilo Fleisch benötigt man 20 Kilo Pflanzen

So benötigt man zur Produktion von einem Kilo Fleisch im Durchschnitt etwa 20 kg pflanzliche Masse. Nach Angaben von Umweltorganisationen wird bereits heute die Hälfte des weltweit verfügbaren Ackerlandes als Weideland und Ackergrund für den Futteranbau genutzt. Die Fleischproduktion verschlingt jedes Jahr mit 660 Millionen Tonnen Getreide mehr als ein Drittel des Weltgetreideverbrauches. Der Getreidepreis steigt mit der wachsenden Fleischproduktion, was zur Verschärfung der Probleme bei der Nahrungsmittelversorgung in Drittwelt- und Entwicklungsländern führt. Deutlich macht dies ein einfaches Experiment: Schon die in den USA für die Fleischproduktion verwendete Getreidemenge würde ausreichen, jeden Menschen weltweit mit einer täglichen Ration zu versorgen, die das Überleben sichern könnte. Da aber vor allem die reichen Industrieländer auf ihren Fleischkonsum offenbar nicht verzichten wollen, ist mittlerweile weltweit die gleiche Anzahl an Menschen vom Tod durch Unter- oder Mangelernährung bedroht wie durch Übergewicht. Obwohl die Verkaufspreise weiter sinken, ist Fleisch ein Luxusgut geworden, das reicheren Ländern „Genuss“ auf Kosten der Armen beschert.

Doch es gibt noch einen Aspekt, unter dem die Massentierhaltung kritisch gesehen werden muss – abgesehen von grundsätzlichen, ethischen Problemen. Eine im Rahmen des UN-Klimagipfels im Jahr 2008 veröffentlichte Studie der Welternährungsorganisation der Vereinten Nationen FAO zeigt auf, dass 18 Prozent der weltweit freigesetzten Treibhausgase von etwa 1,5 Milliarden Rindern, 1,7 Milliarden Schafen und Ziegen sowie unzähligen Schweinen und Geflügel erzeugt werden – und damit mehr als vom gesamten Transportsektor. Japanische Forscher haben ausgerechnet, dass ein Kilo Fleisch die Entstehung von 36 kg Kohlendioxid bedeutet, das entspricht einer Fahrt von 250 km mit einem Durchschnittsauto.

Angesichts des weltweit steigenden Fleischkonsums stellt sich immer dringlicher die Frage: Wo soll das noch hinführen? Nach Statistiken der Zentralen Markt- und Preisberichtsstelle in Bonn (ZMP) konsumierte im Jahre 2003 jeder Deutsche 93,9 kg Fleisch – 1950 waren es noch knapp 26 kg pro Kopf. Die Ausgaben der Verbraucher für Fleisch sanken zwar im Zeitraum 1998 bis 2003 unwesentlich um 1,7 Prozent, bildeten aber 2003 mit immer noch 24 Prozent den größten Anteil an den Ausgaben für Nahrungsmittel.

Jan Peifer