Ich gehe in Gedanken unsere Pflegestellen durch und habe sofort einige im Kopf, bei denen ein Vogel untergebracht werden könnte. Die meisten haben eine Volierenhaltung, und da fällt ein Vogel mehr oder weniger nicht wirklich ins Gewicht. Also sage ich zu, und wir verabreden uns in der Wohnung des Verstorbenen. Die Wohnung ist klein und liegt im Keller, und das Erste was uns auffällt ist die immens hohe Temperatur, man bekommt kaum Luft. Im Wohnraum eine in die Jahre gekommene Schrankwand, ein altes Bett, eine Küchenzeile und ganz in der Ecke eine Voliere. Die Voliere ist in eine dunkle Ecke des Raums eingebaut und geht vom Boden bis zur Decke.
Wir schauen hinein und staunen nicht schlecht als uns ein riesiger Gelbbrustara ängstlich anschaut. Der Vogel mit dem Namen Jakob – wie uns der ehemalige Betreuer des Verstorbenen erzählt – ist von der Situation ziemlich überfordert. Die Voliere starrt vor Dreck, da ist sicherlich seit Monaten nicht mehr sauber gemacht worden. Es gibt nur drei Plastikstangen zum Sitzen und als „Highlight“ einen dreckigen Spiegel in der Mitte des Käfigs.
Da die Rechtsanwältin Probleme mit dem Betreuer hat, er geht ohne Testament davon aus auch der Erbe des Verstorbenen zu sein, bestellt sie die Polizei. Somit sind jetzt sechs Menschen (zwei Polizisten, zwei Tierschützer, der Betreuer und die Rechtsanwältin) in der kleinen Wohnung in der der arme Vogel die letzten vier Monate in absoluter Einsamkeit verbracht hat. Der Betreuer erzählt, dass der Vogel sein Erbe sei und er schon einen alten Hühnerstall fertig gemacht hätte, in den der Vogel einziehen kann. Er ist – oder tut – sehr verwirrt und kann uns außer dem Namen nicht viel Auskunft zu Jakob geben. Es gibt auch keinerlei offizielle Dokumente zu dem Vogel. Nachbarn schildern uns allerdings, dass der Besitzer immer erzählt hatte, dass Jakob schon 40 Jahre alt sei. Das wäre natürlich ein stolzes Alter, da Gelbbrustaras eine Lebenserwartung von ca. 35-40 Jahren haben.