Fast alle männlichen Mastferkel – nach offiziellen Angaben jedes Jahr knapp 22 Millionen junge Eber – werden in Deutschland unmittelbar nach der Geburt kastriert, um die Entstehung eines nach Angaben der Fleischwirtschaft für den Konsumenten unangenehmen Ebergeruches bei der Zubereitung des Fleisches zu verhindern. Zu diesem Zweck werden die Ferkel rücklings in Schraubstöcken fixiert oder einfach zwischen die Beine eines Arbeiters geklemmt und mit schnellen Schnitten die Hoden entfernt. Dieser Eingriff erfolgt bei vollem Bewusstsein der Tiere, ohne Betäubung, und ist auch nach den Vorschriften des Tierschutzgesetzes bis zum siebten Lebenstag des Tieres legal.
Der Ursprung dieser grausamen Praxis ist in der Fehlannahme zu finden, dass Schmerzrezeptoren bei Säuglingen noch nicht voll ausgebildet seien. Lange Zeit war das auch in der Humanmedizin eine gängige Ansicht, die auf die Tiermedizin übertragen wurde. Dass der Fortschritt der medizinischen Forschung für menschliche Babys andere Fakten ergeben hat, spielt hingegen zumindest für die Gesetzgebung im Tierschutz keine Rolle. Auch eine eingeplante Sterblichkeitsrate aufgrund von Infektionen nach dem Eingriff, der in der Regel von medizinischen Laien durchgeführt wird, spricht hier für sich. Lange wiesen Schweinemäster den Vorwurf zurück, die Ferkel würden während des Eingriffs vor Schmerzen schreien. Sie entgegneten, selbst beim Versuch, sie zu greifen und hochzuheben, schrieen die Tiere, das sei völlig normal. Doch Untersuchungen, welche die Tierärztin Susanne Zöls 2007 an der Uni München durchführte, brachten endlich den Gegenbeweis. Sie konnte im Blut von Tieren, die bei vollem Bewusstsein kastriert wurden, eine deutliche Erhöhung des Stresshormons Cortisol nachweisen. Eine Kontrollgruppe von Ferkeln, die während der Prozedur narkotisiert wurde, wies keinen höheren Wert auf als den eines Ferkels, das hochgehoben wird.
Doch Alternativen zur bei uns praktizierten Ferkelkastration gibt es schon lange, wie der Blick in andere Länder zeigt. In der Schweiz etwa dürfen Ferkel seit Beginn des Jahres 2009 nicht mehr ohne vorherige Betäubung kastriert werden. Das langfristige Ziel ist hier die Ebermast (Kurzmast). Dabei sollen auch männliche Schweine bis zu einem Schlachtgewicht von ca. 100 kg gemästet werden, welches sie mit dem Beginn der Geschlechtsreife und damit der Pubertät erreichen. Ab einem Alter von etwa einem halben Jahr kommt es zur Bildung des für den typischen „Ebergeruch“ im Fleisch verantwortlichen Hormons Androstenon. In England, Irland und Dänemark ist die Schlachtung vor diesem Zeitpunkt gängige Praxis; in Australien verfolgt man eine andere Strategie: Durch die sogenannte „Immunkastration“ werden männliche Schweine mit einem Wirkstoff „geimpft“, der die körpereigene Bildung bestimmter Hormone verhindert, sie werden schon bei der Entstehung im Hoden zerstört. Auch in Deutschland scheint es eine Bewegung zu geben: Der Bauernverband, der Hauptverband des Einzelhandels und der Verband der Fleischwirtschaft vereinbarten für 2009 den Einsatz eines Schmerzmittels – allerdings erst nach der Kastration – bis eine in Auftrag gegebene Studie erste Ergebnisse zeigt. Doch auch heute schon ist die Kastration ein Thema in der Politik. B90/Die Grünen fordern: „Das Verbot der Ferkelkastration muss spätestens bis 2012 umgesetzt werden.“ Bislang jedoch darf das Fleisch von ohne Betäubung kastrierten Ferkeln sogar offiziell als Biofleisch verkauft werden. Wie in vielen anderen Fällen scheint auch in hier das Problem darin zu liegen, dass in der Abwägung: Qual der Tiere vs. Nutzen des Verbrauchers zuwenig Aufklärung stattfindet. Eine Erhöhung des Fleischpreises um wenige Cent würde den Einsatz beispielsweise von Narkotika problemlos ermöglichen und damit zumindest stellenweise für weniger Tierleid sorgen.