Der Brauch des Gänsereitens geht zurück auf den spanisch-niederländischen Krieg im 16. Jahrhundert und ist ursprünglich wohl als Zeitvertreib von Soldaten entstanden. Er gilt bis heute vielerorts als Tradition und findet am Rosenmontag statt. Seit vielen Jahren regt sich Protest unter Tierschützern, die das Ritual als barbarisch, grausam und nicht zeitgemäß anprangern und sich für die Abschaffung einsetzen. Entsprechende Petitionen wurden von mehr als 100.000 Menschen unterschrieben, unzählige Demonstrationen sorgten immer wieder für Aufsehen. Viele Reitervereine ersetzten die toten Gänse daraufhin durch Attrappen aus Holz oder Gummi. Zwei Bochumer Gänsereiterclubs aber widersetzten sich den Bemühungen ihrer Gegner jahrelang und hielten an der echten Gans als Bestandteil des Wettbewerbs fest. Daran konnten auch mehrere Anzeigen wegen Verstoßes gegen das Tierschutzgesetz und auch das Jugendschutzgesetz (denn das grausige Schauspiel zieht auch jugendliche Zuschauer an) nichts ändern. Bis im Jahr 2016 Bewegung in die Sache kam.
Ein Tierschutzverein hatte versucht, vor dem Verwaltungsgericht Gelsenkirchen eine Verfügung zu erreichen, die das Gänsereiten gerichtlich verbieten sollte. Diesem Antrag gaben die Richter nicht statt, sie verwiesen auf zeitliche Gründe und die kurz bevorstehende Veranstaltung in Bochum. Dennoch ließen sie deutlich werden, dass der Tod der Gänse für das Gänsereiten keinem vernünftigen Grund folge. Dieser aber ist nach dem Tierschutzgesetz als Voraussetzung für die Genehmigung einer Schlachtung unabdingbar. Ohne vernünftigen Grund darf ein Tier in Deutschland nicht getötet werden. Zwar wird auch das Fleisch der toten Gänse, die beim Gänsereiten ihren Kopf herhalten müssen, zubereitet und verzehrt. Doch stand dieses Gänseessen nach Ansicht der Richter nicht im Fokus. Vielmehr galt dieser der zweifelhaften Ergötzung an der Misshandlung des toten Tieres oder mit anderen Worten: der Brauchtumspflege. Nach dieser Entscheidung hatte die Stadt Bochum zunächst angekündigt, das Verwenden echter Tiere für das Gänsereiten verbieten zu wollen. Von dieser Absicht allerdings verabschiedete sich die Ordnungsbehörde schnell. Auch 2017 fand das Gänsereiten in Bochum sehr zur Unbill der Veranstaltungsgegner wieder mit echten Gänsen statt. Die Tierschützer kündigten umgehend das Beschreiten des weiteren Rechtsweges an. So wollten sie u.a. gegen das Veterinäramt vorgehen, welches im Falle einer erneuten Genehmigung durch die Stadt zum Einschreiten hätte gezwungen werden sollen.
Eine überraschende Einigung der Gänsereitervereine und der Tierschützer setzte dem aufgeflammten Rechtsstreit nun ein Ende. Eine interne Befragung unter den Mitgliedern der beiden betroffenen Gänsereitervereine führte letztendlich die Entscheidung herbei, künftig auf Attrappen zurückzugreifen. Nach Einschätzung lokaler Medien soll damit sichergestellt werden, dass die Tradition des Gänsereitens weiter bestehen kann – ohne den Unmut und Protest der Tierschützer auf sich zu ziehen. Diese Entscheidung stieß sowohl auf Seiten der Gegner wie auch der Befürworter des Gänsereitens auf großen Zuspruch. Das Verfahren wurde eingestellt. Das lange Ringen um das Gänsereiten ist ein gutes Beispiel dafür, dass Tierschutz- und Tierrechtsarbeit mitunter einem Kampf gegen Windmühlen gleicht. Denn der Tierschutz ist seit über einem Jahrzehnt im Grundgesetz verankert, er hat Verfassungsrang und sollte über jeden Zweifel erhaben sein. Dennoch ist der Einsatz für die Tiere an so vielen Stellen unverzichtbar und würde ohne die vielen Unterstützer in der Bevölkerung im Rechtsstreit oft leer ausgehen. Der Fall des Bochumer Gänsereitens zeigt auch, dass sich ein langer Atem lohnt. Am wichtigsten aber ist wohl die Erkenntnis, dass auch Traditionen immer wieder hinterfragt werden sollten, dass sie ein überholtes Verhalten nicht unüberlegt rechtfertigen können und dürfen. Insbesondere im Umgang mit Tieren dürfen wir dies nie vergessen – hieran immer wieder zu erinnern, ist eine der wichtigsten Aufgaben der vielen Tierschutzund Tierrechtsorganisationen unserer Zeit.