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Kastration beim Hund – ja oder nein? – Die Gretchenfrage

Wenn diese Frage nur so leicht zu beantworten wäre. Noch vor einigen Jahren lautete die aktuelle Lehrmeinung: Hündinnen müsse man unbedingt kastrieren, ganz klar. Der Eingriff schütze vor Brustkrebs. Je früher, desto besser. Bei Rüden käme es darauf an, wie sie sich verhielten. Vorteilhaft sei es eigentlich schon, da sich die Tiere in der Regel angepasster präsentierten und weniger auf Krawall aus wären. Sie ließen sich leichter dominieren und damit erziehen. Da war also noch alles klar.

Foto: Dr. Tina Hölscher

Doch dann erfolgte allmählich ein Umdenken. Man müsse die Angelegenheit etwas differenzierter betrachten, hieß es auf einmal. Die Kastrationskritiker führten hier vor allem das Tierschutzgesetz an, dass das Amputieren von Körperteilen ohne vernünftigen Grund untersagt. Und was ist schon ein vernünftiger Grund? Etwa die Verhinderung der Fortpflanzung? Oder das Vermeiden von Beißereien unter Rüden? Darüber kann man sich vortrefflich streiten. Außerdem wurde die Wissenschaft gewahr, dass die Studie, die die Verhinderung von Brustkrebs durch Kastration belegen sollte, auf eine winzige Gruppe Hündinnen noch dazu einer bestimmten Rasse fußte. Mit anderen Worten geht die Aussagekraft dieser Studie gegen null. Kaum zu glauben, dass hunderten Tierärzten während ihres Studiums aufgrund dieser Untersuchung eingetrichtert wurde, weibliche Hunde möglichst früh unters Messer zu legen.

Auch Tierhalter bekamen indirekt einige negative Auswirkungen des Eingriffs zu spüren.

Die gelegentlich auftretende Problematik der Inkontinenz in der zweiten Lebenshälfte vor allem bei großwüchsigen, kastrierten Hündinnen sprach sich herum. Eine gewisse Verhaltensänderung bei kastrierten Rüden ist nicht zu leugnen. Sie können etwas gleichgültiger werden, böse Zungen würden sagen „lahmarschig“. Gerne gehen die Kastraten auch etwas aus dem Leim. Ihr Grundumsatz sinkt, weil der Kalorienverbrauch im Zusammenhang mit dem Hormonhauhalt der Sexualhormone fehlt. Füttert der Besitzer weiter wie bisher, nimmt der Vierbeiner zu.

Ganz aktuell munkelt man in universitären Fachkreisen sogar, womöglich könne die frühe Kastration zwar Brustkrebs (zumindest bei kleinwüchsigen Hunderassen) seltener auftreten lassen, aber dafür unter Umständen andere Tumorarten begünstigen. Somit wäre wohl kaum etwas gewonnen.

Kosten und Risiken

Na ja, und dann haben wir die Kosten und Risiken im Zusammenhang mit dem operativen Eingriff. Bei der Hündin liegen die Preise zwischen 250 und 800 Euro. Für den Rüden müssen Besitzer mit 200 bis 500 Euro rechnen. Die starke Variation kommt durch verschiedene mögliche Operationstechniken oder auch Narkoseformen zustande. Außerdem steht den Tierärzten frei, den Satz, zu dem sie abrechnen, selbst zu bestimmen (im Rahmen des 1- bis 3-fachen), abhängig zum Beispiel von Lage der Praxis oder Schwierigkeit des Eingriffs. Soweit zur Summe der negativen Aspekte einer Kastration, vor allem in der Theorie.

Doch nun zum Alltag. Unkastrierte Hündinnen werden läufig. Große nur einmal im Jahr, kleine zweimal. Wann genau, das steht in den Sternen. Womöglich exakt dann, wenn Oma aufpassen soll oder der Aufenthalt in der Hundepension ansteht. Mist, dann kann man den Urlaub absagen. Stornieren geht in diesem Zusammenhang wohl kaum. Die Zuckerschnute blutet, saut den Teppich ein, die Windel rupft sie runter, die hasst sie. Der Nachbarrüde spielt verrückt, von den anderen im Park ganz zu schweigen. Da fährt Frauchen schon mal zwei Mal täglich 15 km weit mit dem Auto zum Gassigehen, um unliebsame Begegnungen zu vermeiden. Ist der Spuk nach drei Wochen endlich vorbei, wird die Kleine scheinträchtig. Das Gesäuge schwillt an, die Hündin frisst nicht, ist zickig und mies drauf. Zugegebenermaßen läuft nicht jede Läufigkeit so ab, komplikationslos ist sie jedoch selten. Das ist die Praxis. Also bitte dann doch kastrieren, Frau Doktor?

Ähnliches gilt für den Rüden. „Der darf ein Mann bleiben“, heißt es am Anfang. Das gilt so lange, bis er an jede Hausecke pinkelt und beim Spaziergang vor lauter Schnüffeln nicht vom Fleck kommt. Und so lange, bis er den aufmüpfigen Rüden von der netten, alten Dame um die Ecke bei jedem Treffen stellt und am liebsten verspeisen würde. Und so lange bis er sich vor Sehnsucht nach der schicken Dalmatiner-Lady, die gerade läufig ist, verzehrt. Nicht mehr frisst, nur noch wimmert und jault und sich selbst nicht mehr kennt. Dann dämmert dem Besitzer, dass er seinem Liebling vielleicht sogar einen Gefallen tun würde, wenn er ihm die Bedürfnisse nimmt, die er ohnehin nie stillen kann.

Auch wenn es viele Vorbehalte gegen eine Kastration gibt, sorgen häufig die äußeren Umstände dafür, dass sich Tierhalter aus gutem Grund letztendlich für eine Kastration entscheiden.

Und die Frage, ob es besser ist zu kastrieren oder nicht, kann hier nicht pauschal und für alle gültig beantwortet werden. Man muss jeden Einzelfall beleuchten und diskutieren. Was für einen Charakter hat der Hund? Unter welchen Umständen lebt er? Geht er mit ins Büro oder nicht? Wie viele Tiere leben in seinem Umfeld? Sind diese kastriert oder nicht? Ist der Besitzer in der Lage, das Tier auch unter schwierigen Umständen zu kontrollieren? Schafft er es, ungewollte Fortpflanzung zu verhindern? Und so weiter und so fort. Antworten auf all diese Fragen im Kontext mit allen zur Verfügung stehenden wissenschaftlichen Erkenntnissen bilden die Grundlage für die entsprechende Entscheidung.

Abschließend erwähnt werden soll, dass es in diesem Beitrag um Hunde hierzulande geht.

Ganz anders sieht die Situation in Südeuropa oder gar außerhalb Europas aus. Hier gibt es zur flächendeckenden Kastration aller Hündinnen und Rüden keine tierschutzgerechte Alternative. In diesen Regionen geht es einzig und allein darum, die unkontrollierte Vermehrung und damit weiter anwachsendes Tierleid zu verhindern.

Dr. med. vet. Tina Hölscher

Tierärztin bei aktion tier – menschen für tiere e.V.