Wildvögel

Phänomen Kippflügel

Vielleicht haben Sie schon einmal am Wasser eine Gans oder Ente gesehen, bei der ein Flügel seltsam abgespreizt war. Im ersten Moment denkt man an eine Verletzung. Dabei handelt es sich aber um eine ernährungsbedingte Fehlentwicklung der Flügel.

Kanadagans mit Kippflügeln
Bei dieser jungen Kanadagans sind beide Flügel deformiert. Foto: aktion tier, Ursula Bauer

Die sogenannten Kippflügel entstehen bei jungen Vögeln durch Mangelernährung während der Wachstumsphase. Unnatürliches, zu energie- oder proteinreiches Futter, dem wichtige Vitamine und Mineralstoffe fehlen, soll zu diesen Fehlbildungen führen. Betroffen sind vorrangig Enten und Gänse. Kippflügel kommen aber auch bei Hühnervögeln (z.B. Wachtel, Fasan) und anderen Vogelarten vor. Sie können ein- oder beidseitig auftreten. Die Vögel sind dann aufgrund der Behinderung meistens flugunfähig.

Was passiert da genau?

Wie es dazu kommt, dass sich die Handschwinge des Flügels derart verdreht, dass sie nach außen absteht, erklärt Dr. Florian Brandes, Tierarzt und Leiter der aktion tier-Wildtier- und Artenschutzstation Sachsenhagen: „Durch abnorm energiereiches Futter wachsen die Schwungfedern des Vogelflügels sehr schnell. Sie entwickeln ein Gewicht, dass vom knöchernen Handgelenk des Flügels noch nicht getragen werden kann. Das Handgelenk wird erst im Laufe der JungvogelEntwicklung durch Mineralisierung stark und stabil und kommt mit dem unnatürlich schnellen Federwachstum nicht mit. Das Gewicht der Federn lässt die ganze Hand nach außen kippen, wodurch sich das Handgelenk verdreht“.

Kann man Kippflügel behandeln?

Wenn der Vogel jung und das verformte Handgelenk noch nicht mineralisiert ist, kann die Fehlstellung noch durch das Einbinden des Flügels korrigiert werden. Bei Wildvögeln hat das allerdings den Nachteil, dass das Tier eingefangen und nach der Behandlung mit in der korrekten Stellung eingebundenem Flügel eine Zeitlang in Gefangenschaft leben muss. Das kann gerade bei Gänsen und Enten zu einer Fehlprägung führen, die eine spätere Auswilderung erschwert oder unmöglich macht. Außerdem ist der selektive Fang eines Mitglieds der Vogelfamilie natürlich für alle Beteiligten ein Schock. Das betroffene Jungtier wird zwar geheilt, muss dafür jedoch auf die Führung und Anleitung der Eltern verzichten, die ihren Nachwuchs auf ein eigenständiges Leben in freier Natur vorbereiten. Auch wenn man Mitleid mit einem durch einen Kippflügel gehandicapten Vogelbaby hat, sollte man vor einer Rettungsaktion auch diese Aspekte berücksichtigen.

Wie können Kippflügel vermieden werden?

Bei Tieren in Gefangenschaft verhindert eine ausgewogene, artgerechte Fütterung in Kombination mit viel Bewegung die Entstehung dieser Erkrankung. Für alle freilebenden Tiere gilt: Bitte nicht füttern! Vor allem nicht mit Brot. Es ist arm an Nährstoffen, aber sehr energiereich. Wildlebende Enten, Gänse und Schwäne fressen kaum Getreide oder Körner und können daher Brot und Brötchen nicht richtig verdauen. Es quillt im Magen, enthält außerdem Salz und oft auch Zucker und kann somit diverse gesundheitliche Probleme verursachen. Wie beispielsweise Kippflügel.

Wenn Sie jedoch absolut nicht auf das Füttern verzichten können, dann geben Sie Salatblätter, kleingeschnittenes Gemüse, Obststückchen in Maßen, rohe Erbsen oder Mais.

aktion tier aktiv

Unsere Infotafeln wurden leider schnell zerstört.
Unsere Infotafeln wurden leider schnell zerstört. Foto: aktion tier, Ursula Bauer

Im vergangenen Jahr waren wir am Berliner Wannsee an einer Stelle mehrmals vor Ort, wo auch aufgrund von mehreren Bootsanlegestellen exzessiv Brot verfüttert wird, um die "Tierfreunde" entsprechend aufzuklären. Passend dazu lebte dort eine wilde Kanada-Gänsefamilie mit zwei Jungen, die beide an Kippflügeln litten. Die negativen Auswirkungen der Brotfütterei waren also real zu besichtigen. Außerdem hatten wir mehrere Infotafeln angebracht. Trotzdem gab es einige uneinsichtige Menschen, die einfach nicht glauben wollten, dass sie das Leid der beiden Junggänse mit verschuldet hatten.

Bitte machen Sie es anders! Die Gesundheit der Tiere sollte immer wichtiger sein als der persönliche Spaß am Füttern.

Ursula Bauer

Diplom-Biologin bei aktion tier – menschen für tiere e.V.