August 2010: Wir stehen in einem langen, dämmerigen Stall auf einem ehemaligen LPG-Gelände in der Nähe von Fürstenwalde in Brandenburg. Der Boden ist voll Hundekot, es stinkt. Zwei große Bullmastiffs sitzen aneinandergedrängt auf einem alten Sofa – einsam, ohne Futter. Dieser Stall ist schon seit langer Zeit ihr Zuhause.
Ein Bericht von Ursula Bauer, aktion tier-Geschäftsstelle Berlin
Erfreut über den offensichtlich seltenen Besuch stürmen die beiden schon etwas älteren Riesen schließlich auf uns zu, können gar nicht genug Streicheleinheiten bekommen. Wie wir später herausfinden heißen die Hunde Amok und Baika. Beide Bullmastiffs leiden unter extremem Floh- und Milbenbefall. Großflächig ist das Fell ausgefallen, die Haut ist dort schuppig und teilweise blutig. Der schier unerträgliche Juckreiz lässt den beiden Hunden keine Ruhe. Unsere Tierärztin, die mich begleitet, verabreicht ein Mittel gegen Parasitenbefall. Mehr können wir im Moment nicht tun.
Ein Tierfreund, der aktion tier um Hilfe gebeten hat, führt uns weiter auf dem großen Gelände herum. In einem kleinen Häuschen mit eingezäuntem Freilauf werden ca. 40 Legehennen gehalten. Futter oder Wasser ist nirgends zu sehen, der Auslauf ist komplett kahl gefressen. Ich habe noch nie derart hungrige Hühner gesehen. In der Hoffnung auf Futter weichen uns die Vögel nicht von der Seite. Im Stall entdecken wir zwei tote, angefressene Hühner, die wahrscheinlich verhungert sind.
Dann wird uns in einem weiteren ehemaligen Stallgebäude ein provisorischer, offensichtlich selbst gebauter Kaninchenstall mit fünf Kaninchen unterschiedlicher Rassen gezeigt. In dem Gebäude ist es auch an einem sonnigen Tag sehr dunkel. Die Boxen sind für die teilweise großen Kaninchen viel zu klein und vom Kot der Tiere stark verdreckt. Nur an einem Käfig befindet sich eine (leere) Trinkflasche, somit haben alle Tiere kein Wasser. Futter steht ihnen ebenfalls nicht zur Verfügung. Bettelnd recken sich die Kaninchen an den Gittern hoch, als wir ihnen Löwenzahn durch die engen Maschen stopfen. Dabei sehen wir die unglaublich langen Krallen der verwahrlosten Tiere.
Jetzt kommen wir an einen kleinen Stall mit Auslauf, in dem drei Jungschweine gehalten werden. Die Schweine tragen nicht die erforderlichen Ohrmarken. Auch hier ist weder Wasser noch Futter vorhanden.
Im nächsten Stall lebt ein weiterer Hund – Teddy. Der große, hellbraune Bär ist abgemagert und leidet ebenfalls unter starkem Parasitenbefall. Es stinkt fürchterlich, Teddy hat Durchfall. Der Hals des Hundes weist eine große Scheuerwunde auf. Gemäß Zeugenaussagen wurde der Hund innerhalb des Stalls lange Zeit an einer Kette gehalten. Die Kette liegt noch in einer Ecke. Das Lager von Teddy besteht aus einer verdreckten Decke.
Dann kommt ein größerer Stall. Hier werden drei Pferde gehalten. Weideflächen gibt es keine. Als Ausläufe dienen kleine, teilweise betonierte, verunkrautete und mit Bauschutt und Müll überlagerte Bereiche direkt am Stall. Die Boxen sind stark verdreckt, in einer Box steht das Wasser, sodass Futtergetreide bereits gekeimt ist. Die Raufen sind leer, der kleine Heurest in einer Ecke ist feucht und verschimmelt. Der Wallach Forest Gump leidet unter Bronchitis, ihm tropft eitriger Ausfluss aus der Nase. Außerdem ist er an allen vier Beinen an Mauke, einem Fesselekzem, erkrankt, was wahrscheinlich auf die mangelnde Hygiene im Stall und die zu feuchten Haltungsbedingungen zurückzuführen ist. Avalon, der einjährige Hengst ist ein Bild des Jammers – abgemagert bis auf die Knochen, mit viel zu langen Hufen und krankhaft starken Verdickungen an beiden Vorderfußwurzelgelenken. Auch der dreijährige Hengst Chemballo befindet sich in einem schlechten Pflege- und Ernährungszustand.
Die angebliche Halterin der Tiere, die 50-jährige, alleinstehende Claudia M., lebt mit ihrer halbwüchsigen Tochter in einem grauen Haus mit dahinterliegendem Stallgebäude in Sichtweite des ehemaligen LPG-Geländes. Wir fahren langsam an dem heruntergekommenen Anwesen vorbei. Im Garten stehen neben einem Berg von Gerümpel zwei weitere magere Pferde. In einem ungepflegten Zwinger mit baufälligen Hütten leben zwei Bullmastiffs. Aus dem Stall ertönt Hundegebell, es ist niemand zu Hause.
Wir fahren mit unserem Informanten weiter zu einem nahegelegenen See. Hier hält Claudia M. einen Hengst und fünf Stuten auf einer bis auf die Grasnarbe abgefressenen Weide. Kein Pferd ist kastriert, es findet folglich eine Zucht statt und die Stuten sind zum jetzigen Zeitpunkt mit hoher Wahrscheinlichkeit alle tragend. Der Hengst ist stark abgemagert. Durch die fünf Stuten lebt er unter permanentem Stress. Alle Pferde weisen defekte Hufe aufgrund unsachgemäßer Bearbeitung auf. Bei mehreren Pferden sind die Hufe derart extrem herunter geschnitten worden, dass die Tiere nicht mehr auf den Hufen, sondern auf ihren Ballen laufen müssen. Unfachmännische Hufbeschneidung kann zu diversen körperlichen Beschwerden und Schmerzen führen. Wir gehen davon aus, dass sich Claudia M. den Hufschmied gespart und selbst Hand angelegt hat.
Zurück in Berlin recherchieren wir über die Tierhalterin und finden heraus, dass Claudia M. Vorsitzende eines Tierschutzvereins ist. Auf der Homepage dieses Vereins entdecken wir die drei Hunde aus dem Stall, Baika, Amok und Teddy, die im Namen des Vereins verkauft bzw. vermittelt werden sollen. Wie kann es sein, dass jemand unter dem Deckmäntelchen des Tierschutzes die ihm anvertrauten Tiere, welche häufig schon eine Odyssee des Leidens hinter sich haben, derart katastrophal hält?
Auf ihrer hübsch zu recht gemachten Internetseite präsentiert sich Claudia M. als erfahrene Hundezüchterin, der das Wohl der Hunde über alles geht. Seit 1994 züchtet sie Bullmastiffs „mit Leidenschaft und Erfolg“. Wir rufen an und Frau M. hat tatsächlich einen Wurf Bullmastiffs da, den sie verkaufen möchte. Gemäß ihren eigenen Aussagen züchtet sie außerdem seit vielen Jahren West-Highland-Terrier. Wir verabreden uns und treffen Claudia M. wenig später als potentielle Hundekäufer getarnt und natürlich mit unserer versteckten Kamera ausgestattet. Auf dem Hof laufen uns eine etwa zwölf Monate alte Bullmastiff- Hündin, ein älterer, rotbrauner Mischlingshund sowie acht Bullmastiff- Welpen entgegen. Claudia M. erzählt, dass die Welpen von einer „Leihmutter“ stammen, die sie inzwischen wieder zurückgegeben hätte. Unser Informant hat uns allerdings gesagt, dass Frau M. zusätzlich zu den eigenen Nachzuchten regelmäßig illegal eingeführte Bullmastiff-Welpen aus Ungarn bezieht und dann in Deutschland über das Internet verkauft. Auch den uns gezeigten Wurf hat Claudia M. inzwischen über ein einschlägiges Internet-Anzeigenportal zum Verkauf angeboten.
Die Züchterin erzählt, dass sie im Stall noch zwei weitere, wenige Wochen alte Bullmastiff-Welpen von Hand aufzieht, da ihr die Hündin „kaputtgegangen“ sei. Sie hätte auch noch West-Highland-Terrier, die jedoch gerade keinen Nachwuchs haben. Pro Bullmastiff-Welpe verlangt Claudia M. 1.200 Euro. Ein lukratives Geschäft. Bullmastiffs gelten in Brandenburg als „gefährliche Hunde“. Wer diese Hunde halten, züchten und damit handeln will, braucht eine besondere Erlaubnis der Behörde (u.a. Sachkundenachwei s , Negativzeugnis) . Frau M. behauptet, all diese Genehmigungen zu besitzen. Nebenbei erzählt sie auch noch, dass sie zwei Rennpferde in einem bekannten Rennstall bei Berlin besitzt und aus den Rennen häufig hohe Einnahmen generiert.
Wir haben genug gesehen. Unsere Strafanzeige bei der zuständigen Staatsanwaltschaft ist fünf Seiten lang. Detailliert arbeiten wir alle festgestellten Verstöße gegen Tierschutzvorschriften heraus, fügen Internetdaten, Zeugenanschriften und Fotos bei. Dem zuständigen Veterinäramt sind die Zustände bereits seit mindestens einem Jahr bekannt, daher ist von dieser Stelle keine Hilfe zu erwarten. Nun muss die Staatsanwaltschaft ermitteln und Claudia M. zur Verantwortung ziehen. Der Fall hat inzwischen einigen Staub aufgewirbelt, das Amt für Grundsicherung hat um Informationen gebeten. Bezieht Claudia M., die in großem Stil teure Hundewelpen verkauft, eine Pferdezucht betreibt und zwei Rennpferde hält, etwa Hartz 4? Weitere Zeugen haben angerufen und über Claudia M. und ihre Machenschaften berichtet. Baika und Amok sind inzwischen aus dem Stall verschwunden, angeblich sind sie tot – eingeschläfert. Auch die Hühner sollen tot in einer Mülltonne liegen. Wir leiten alle neuen Informationen sofort an die Staatsanwaltschaft weiter und hoffen, dass die Sache nicht mit dem „Vernichten von Beweisen“, in diesem Fall dem Töten der Tiere, erledigt ist.
Tierschutzfall in Fürstenwalde
aktion tier deckt auf