Unterwegs mit aktion tier
Die Wildtierstation im niedersächsischen Sachsenhagen ist mit über 20 Hektar einer der größten, wenn nicht sogar die größte Einrichtung ihrer Art in Deutschland. Kaum eine vergleichbare Station ist in der Lage, ein derart breites Spektrum an unterschiedlichsten Wildtieren aufnehmen zu können. Mehr als 3000 Tiere werden dort jährlich versorgt. Es gibt somit Gründe genug, diesem Projektpartner von aktion tier einen Besuch abzustatten.
Dies tat Ende August eine Abordnung unserer Mitarbeiter aus dem Bereich der Öffentlichkeitsarbeit, um sich einen Eindruck der dort geleisteten Arbeit zu verschaffen. Trotz der teilweise weiten Anreise aus Schleswig-Holstein oder Hessen wollte man es sich nicht nehmen lassen, mit eigenen Augen das Projekt und vor Allem die dort beherbergten Tiere zu sehen. Empfangen wurden sie vom Leiter der Station Dr. Florian Brandes, einem der wenigen fachlich spezialisierten Wildtierärzte in Deutschland. Seit 2003 steht er in der Verantwortung für die Wildtierstation Sachsenhagen und hat sich durch seine Einsätze auch außerhalb der Station einen hohen Bekanntheitsgrad als Experte für Wildtiere erarbeitet. Unseren Lesern ist er bekannt durch viele Beiträge in unserem Mitgliederjournal, die immer interessante Tierschutzfälle aus der Wildtierstation zum Inhalt haben.
Dr. Brandes ließ es sich nicht nehmen, die Besucher von aktion tier selbst durch die Station zu führen und die Hintergründe der Arbeit in einer Wildtierstation zu erläutern. Deren Wirken beschränkt sich keineswegs nur auf die Versorgung und Auswilderung einheimischer Tierarten, sondern bietet auch die Möglichkeit der Aufnahme von exotischen Wildtieren, die aus unterschiedlichen Gründen in Sachsenhagen aufgenommen werden mussten. Darüber hinaus beteiligt sich die Station an Artenschutzprojekten, deren Ziel die Nachzucht vom Aussterben bedrohter Tierarten und deren anschließende Auswilderung ist. Hier reicht das Spektrum von internationalen Projekten wie z.B. der Nachzucht von Prinz-Alfred-Hirschen, die in ihrer philippinischen Heimat nahezu ausgestorben sind, bis hin zu heimischen Initiativen wie zum Schutz der Wechselkröte, die in Niedersachsen auf der Roten Liste der extrem bedrohten Arten steht.
Ein besonderes Augenmerk liegt dabei auf Artenschutzprojekten, die am nur rund 5 km entfernten Steinhuder Meer durchgeführt werden.
Der größte Binnensee in Niedersachsen ist in unterschiedliche Natur- und Vogelschutzgebiete unterteilt und bietet damit gute Voraussetzungen zur Auswilderung dort heimischer Tierarten. So beteiligt sich die Wildtierstation aktuell an einem Projekt zur Wiederansiedlung des Europäischen Nerz am Steinhuder Meer, der dort seit etwa 1925 als ausgestorben gilt. Auch wenn dieses Projekt noch nicht abschließend bewertet werden kann, gibt es positive Signale dahingehend, dass sich die dort angesiedelten Tiere vermehren und einen eigenen Bestand aufbauen.
Die interessanten Ausführungen von Dr. Brandes zu den Artenschutzprojekten der Wildtierstation hinterließen großen Eindruck bei den Besuchern. „Es ist wirklich spannend zu hören, welche Artenschutzprojekte hier in Angriff genommen werden und welch großer Aufwand dahintersteht,“ meint Rene. Er kommt eigentlich aus einem landwirtschaftlichen Beruf, bis er die dort herrschenden Zustände nicht mehr akzeptieren wollte. Seit rund zwei Jahren arbeitet er nun für aktion tier e.V. an unseren Informationsständen und versucht dort, den Menschen die Auswirkungen ihres Handelns vor Augen zu führen. Eine besondere Bedrohung stellt aktuell wieder die Vogelgrippe dar, die auch vor Wildvögeln nicht Halt macht. „Sollte auch nur ein Fall innerhalb der Wildtierstation auftreten, besteht die Gefahr, dass unser gesamter Vogelbestand auf behördliche Anordnung getötet werden muss“, erläutert Dr. Brandes den Besuchern. Insofern muss genau darauf geachtet werden, ob ein verletzt eingelieferter Vogel Symptome dieser tödlichen Krankheit zeigt. Ohnehin stellt der Schutz vor Krankheiten eine der größten Herausforderungen für ein derartiges Projekt dar. Exotische Vögel, die zumeist aus schlechten privaten Haltungen stammen, werden daher grundsätzlich in einem Quarantänebereich separiert.
Besonderen Eindruck haben aber auch die vielen exotischen Tiere hinterlassen, die in der Wildtierstation eine neue Heimat gefunden haben.
Deren gemeinsames Schicksal ist in fast allen Fällen, dass sie aus einer schlechten privaten Haltung stammen. „Es ist wirklich unglaublich zu sehen, was Menschen sich alles ohne Sinn und Verstand anschaffen“, meint Luisa, die überwiegend in SchleswigHolstein tätig ist. Seien es Großkatzen oder Affenarten; offenbar gibt es immer wieder Menschen, die tatsächlich glauben, den Anforderungen dieser Tiere in ihrem Wohnzimmer nachkommen zu können. Nun müssen diese Exoten langfristig und mit hohem Aufwand in der Wildtierstation versorgt werden; eine Auswilderung ist aufgrund der bisherigen Haltung völlig ausgeschlossen, und auch eine Vermittlung in Zoos ist oftmals schwierig, da diese meist keinen Bedarf haben.
Deutlich zugenommen haben in den letzten Jahren die Anfragen aus der Bevölkerung nach einer Aufnahme von Waschbären. „Würden wir all diesen Anfragen nachkommen, bestünde der Tierbestand unserer Station nur aus Waschbären. Dies ist weder sinnvoll noch rechtlich möglich, da es sich um eine invasive Art handelt“, erläutert Dr. Brandes den Anwesenden. Als invasive bezeichnet man gebietsfremde Tierarten (Neozoen), die unsere Ökosysteme nachhaltig verändern und heimische Tierarten verdrängen können, da sie ihnen Nahrung und Lebensraum streitig machen, Krankheiten übertragen oder durch Kreuzung mit ihnen den Genpool verändern. Nicht heimische Tierarten gelangen zum Beispiel absichtlich durch Aussetzen oder unabsichtlich etwa durch Entweichen aus Zuchtfarmen und Zoos oder als Verunreinigung von Waren (z.B. Schneckeneier in Blumenerde) nach Deutschland und in Freiheit. Hierzulande sind bisher etwa 1.200 gebietsfremde Tierarten festgestellt worden, von denen etwa 1/4 in freier Natur und ohne menschliche Hilfe über mehrere Generationen als Population erhalten geblieben sind und daher als heimisch gelten.
„Es wäre schön, wenn man den Bereich der Tierhaltung von Exoten in Deutschland stärker beschränken würde“, meint Joshua. Der Hannoveraner ist der Einladung zum Besuch mit seiner Frau Eldja und Sohn Tau gefolgt. „Es ist einfach zu riskant und der Schaden zu groß, wenn festgestellt wird, dass entkommene oder ausgesetzte Exoten heimische Tierarten verdrängen“. Am Beispiel des Waschbären, der 1934 bewusst als jagdbares Pelztier am Edersee ausgesetzt wurde, kann man eindrucksvoll sehen, wie massiv dieser sich ausgebreitet hat. Andere invasive Arten wie der Asiatische Laubholzbock oder die Spanische Wegschnecke richten im land- oder forstwirtschaftlichen Bereich Schäden in Milliardenhöhe an, und die Asiatische Hornisse frisst hauptsächlich Honigbienen, so dass sie zur Gefahr für die europäische Imkerei werden kann. Die Asiatische Tigermücke stellt eine Gefahr für unsere Gesundheit dar, da sie gefährliche Infektionserreger wie Zika-Viren auf den Menschen übertragen können.
Nach rund drei Stunden und versehen mit einer Vielzahl von Informationen ging die Führung mit einem abschließenden Gespräch im Schulungsraum der Wildtierstation zu Ende. „Wirklich interessant“, brachte Antonia den Besuch treffend auf den Punkt. Gemeinsam mit ihrem Freund war sie nach Sachsenhagen gekommen, um ihm auch einen Einblick in die aktion tier Projekte zu geben. Besonders gefällt ihr die gute Zusammenarbeit, die z.B. mit dem Igelzentrum in Laatzen besteht. Von dort kommen regelmäßig Igel zum Winterschlaf nach Sachsenhagen und mit Karolin Schütte ist eine Tierärztin in beiden Projekten tätig. Auch absolvieren unsere Auszubildenden aus den Tierheimen regelmäßig Praktika im Rahmen ihrer Ausbildung. Abschließend brachte Herr Dr. Bandes noch seinen Dank an die Mitarbeiter zum Ausdruck. „Es gibt eine Vielzahl von Möglichkeiten, um eine Förderung für Einzelmaßnahmen zu erhalten. Es gibt aber niemanden, der uns so dauerhaft und nachhaltig wie aktion tier bei den laufenden Kosten unterstützt. Dafür sind wir als Wildtierstation sehr dankbar!“