Pressemitteilung

Verbraucher aufgepasst! - Skandale in der Massentierhaltung

Wenn in den Medien über das Thema Nutztierhaltung berichtet wird, ist das in der Regel mit schlechten Schlagzeilen verbunden. Immer wieder kommt es zu Horrormeldungen im Zusammenhang mit Tierhaltung, Mastanlagen, Tiertransporten, Schlachthöfen etc. Die industrielle Massentierhaltung ist der Inbegriff von Tierquälerei, und legitimiert sich zugleich selbst. Weit über 95 % aller in Deutschland erzeugten Fleisch und Wurstwaren stammen aus dieser Haltungsform. Tiere werden dabei in völlig artfremde Haltungsbedingungen gezwungen, ohne die eine Tierhaltung in den heutigen Ausmaßen schon aus Platzgründen gar nicht möglich wäre.

Rund 80 % der globalen landwirtschaftlichen Nutzfläche werden für die Tierhaltung beansprucht. Alleine in Deutschland leiden und sterben jedes Jahr mehr als 760 Millionen sogenannte Nutztiere in der Massentierhaltung. Hinzu kommen mindestens 20 Millionen Fische aus Aquakulturen, die oft gar nicht berücksichtigt werden. Weltweit werden jährlich mehr als 70 Milliarden Landwirbeltiere geschlachtet, außerdem viele weitere Milliarden Fische. Angesichts dieser Dimensionen überrascht es nicht, dass es immer wieder zu skandalträchtigen Meldungen kommt. Selten jedoch kommt es zu Gerichtsprozessen, noch seltener haben diese Konsequenzen für Verantwortliche.

Im Jahr 2020 wurde in einem Verfahren vor dem Landgericht Ulm zum allerersten Mal überhaupt in der Geschichte der Bundesrepublik ein Schweinemäster wegen Tierquälerei zu einer Gefängnisstrafe verurteilt.

In der ersten Instanz war er zu drei Jahren Haft verurteilt worden, das Berufungsverfahren endete für ihn mit zwei Jahren Haft sowie einer Geldstrafe von 20.000 Euro. Der urteilende Richter sprach in seiner Urteilsbegründung von einer Tierhölle statt Tierhaltung in der Mastanlage des Betreibers. Der Fall sorgte damals für Entsetzen, Tierschützer erhofften sich aber eine Signalwirkung. Denn tierschutzrelevante Verstöße in der Landwirtschaft und insbesondere in der industriellen Massentierhaltung werden und wurden in den letzten Jahren (und sogar Jahrzehnten) kaum geahndet und verfolgt. Ein Rechtsgutachten der Universität Mannheim nennt hierfür gleich mehrere Gründe. Viele Verfahren kommen gar nicht erst zustande, weil Ordnungsbehörden den sogenannten Anfangs- und Anzeigeverdacht nicht ernst nehmen: Danach muss einer Strafanzeige immer dann nachgegangen werden, wenn sie eindeutig und ohne Widersprüche formuliert ist und zudem mit Tatsachen belegt ist. Doch schon hier legen manche Staatsanwaltschaften andere Maßstäbe an und leiten nach einer Anzeige erst gar kein Verfahren ein. Selbst wenn ein Verfahren eröffnet wird, haben Tiere – besonders in der Massentierhaltung – meist schlechte Karten.

Kopfüber fixiert – Teil des Schlachtprozesses Alle Fotos: © Jan Peifer

Das Tierschutzgesetz ist so formuliert, dass es in der Auslegung vor Gericht auf Gutachter angewiesen ist.

So unterscheidet es beispielsweise zwischen Schmerzen und erheblichen Schmerzen, zwischen Leid und vermeidbarem Leid, welches Tieren zugefügt wird. Vor alledem steht die Bedingung des vernünftigen Grundes, ohne den einem Tier kein Schmerz oder Leid angetan werden darf. Doch wer entscheidet über das Vorliegen eines vernünftigen Grundes, wer sieht Unterschiede zwischen erheblichem Leid und „einfachem“ Leid? Offenbar ist es häufig der einfachere Weg, die Strafverfolgung einzustellen, statt ein gerechtes und angemessenes Urteil zu fällen. Daher sind vor allem zwei Wege unverzichtbar, um dem Tierschutzgedanken des Grundgesetzes endlich (mehr) Geltung zu verschaffen. Zum einen müssen eindeutigere Straftatbestände bzw. rechtliche Grenzen geschaffen werden, um eine Verfolgung und Verurteilung in der Landwirtschaft so wie in jedem anderen Wirtschaftszweig zu vereinfachen und nachvollziehbar zu machen. Hierfür ist nicht nur eine Haltungsverordnung nötig, nach der Tiere weitestmöglich artgerecht gehalten werden müssen, sondern ganz konkrete Vorgaben etwa zur Stallgröße oder zur Besatzdichte. Bestimmte Haltungsbedingungen wie z. B. die Anbindehaltung von Rindern oder die Käfighaltung von Legehennen müssen ausnahmslos verboten sein, um effektiv gegen Verstöße vorgehen zu können.

Das Internetportal www.tierschutz-skandale.de bietet einen umfassenden Überblick über tierschutzrelevante Aufdeckungen durch Deutschlands führende Tierrechtsorganisationen seit 2016 sowie einen Überblick über die Konsequenzen dieser Skandale. Mehr als 200 Fälle von Tierquälerei in der tierhaltenden Landwirtschaft aus ganz Deutschland werden hier dokumentiert. Ohne die Arbeit der Aktivisten wären sie alle vermutlich unerkannt geblieben. Alle Fälle sind anschaulich über eine Deutschlandkarte abrufbar, unterlegt werden die aufgedeckten Skandale durch einen umfangreichen Statistikteil.

Aufgrund unzähliger Ausnahmeregelungen, Übergangsfristen und unverbindlicher Selbstverpflichtungen wird es lange dauern, auf diesem Wege eine Verbesserung zu erreichen. Umso wichtiger ist daher darüber hinaus das gesellschaftliche Engagement. Verstöße gegen Tierschutzrecht sind nur für den sichtbar, der auch hinsieht, heißt es in dem Mannheimer Gutachten. Genau das ist deshalb auch das Anliegen vieler Tierschutzorganisationen, die mit ihren Aufnahmen und Veröffentlichungen, aber auch mit dem Anzeigen von Missständen Aufmerksamkeit erregen und so dazu beitragen können, dass Tierrechte auch von den Menschen nicht vergessen werden, die Schweine, Rinder und Hühner nur noch aus der Tiefkühltruhe im Supermarkt kennen.

Jan Peifer