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Almwirtschaft in den Alpen

Das von Menschen geschaffene, extensiv beweidete Grünland im Hoch- und Mittelgebirge nennt man ’Alm‘ oder ’Alpe‘. Zur Bewirtschaftung werden traditionell Rinder, Pferde, Schafe, Ziegen und sogar Schweine im Sommer in die Berge geführt, wo sie etwa 100 Tage lang die Weiden abgrasen. Almwirtschaft gibt es unter anderem im Schwarzwald, in den Pyrenäen und im Skandinavischen Gebirge. Die größte Bedeutung hat diese Form der Berglandwirtschaft jedoch in den Alpen.

Blick auf einen Teil der Großglocknergruppe.
Blick auf einen Teil der Großglocknergruppe. Foto: Ursula Bauer

Bereits in vorchristlicher Zeit, als das Klima in den Höhen noch recht mild war, wurden die Flächen oberhalb der Baumgrenzen sowie die lichten Bergwälder als Viehweiden genutzt. Durch Brandrodung schufen die ursprünglich als Nomaden umherziehenden Menschen weitere Weideflächen und arbeiteten sich, von oben kommend, in mühsamer Handarbeit in tiefere Lagen vor, wo sie sich schließlich ansiedelten. Damals waren die Täler noch entweder versumpft oder vollständig bewaldet und daher wenig einladend. Die Berglandwirtschaft entwickelte sich jedoch gut, und die hier produzierten Lebensmittel waren zum Beispiel beim Landadel und in den Klöstern sehr begehrt. Neben der Viehhaltung wurde in den Almregionen bis ins Spätmittelalter hinein sogar Ackerbau betrieben.

Im Laufe der Zeit siedelten sich immer mehr Bauern in den zunehmend gerodeten Tälern an. Hier gab es Weideflächen für das Vieh und fruchtbaren Boden zum Anbau von Feldfrüchten. Die Bewirtschaftung der höher gelegenen Grünflächen blieb jedoch weiter attraktiv, da auf diese Weise mehr Tiere gehalten und ernährt werden konnten.

Nutzung der verschiedenen Höhenstufen

Charakteristisch für die gebirgigen Inneralpen ist, teilweise bis heute, die Dreistufenwirtschaft. Dabei weidet das Vieh traditionell von Herbst bis Frühling auf den Niederalmen (Stufe 1, ca. 1.300-1.400 Meter über dem Meeresspiegel) in der Nähe des heimatlichen Hofs im Tal. Im Juni steigen die Nutztiere dann mit Hirten und einem Teil der Bauernfamilien auf die Voralmen oder Mittelalmen (Stufe 2, ca. 1.300-1.700 Meter über dem Meeresspiegel), wo die dortigen Freiflächen abgegrast werden. Nach etwa vier Wochen geht es dann weiter auf die Hochalmen (Stufe 3, ab 1.600-ca. 2.500 Meter über dem Meeresspiegel), wo die Tiere zwischen 75 und 90 Tage verbringen. Im Spätsommer erfolgt dann der Rückweg ins Tal, oft über einen Zwischenstopp auf den Voralmen, um das inzwischen dort nachgewachsene Grün abzuweiden. Spätestens Ende September sind alle wieder auf dem heimatlichen Hof eingetroffen, wo das Vieh den Winter im Stall verbringt. Im Bereich des niedrigeren Alpenvorlandes fehlen die Hochalmen, daher werden die Tiere im Frühjahr nur auf „die Alm“ und im Herbst wieder zurück in den Dauersiedlungsbereich getrieben (Zweistufenwirtschaft).

In den Bergen findet man häufig charakteristische, meist kleine Gebäude, die entweder einzeln in der Landschaft errichtet oder gruppenweise als Weiler angeordnet sind. In diesen Almhütten lebten vor allem früher die Menschen, die das Vieh begleiteten, während des Sommers in den Bergen. Melkstände befanden sich teilweise auch darin sowie Utensilien, um aus Milch Käse herzustellen. Gelegentlich wurden auch Pipelines oder Seilbahnen für den Transport der Milch ins Tal errichtet.

Da heute ein gutes Wegenetz auch bis in höhere Lagen hinaufführt, sind viele Weiden leicht und schnell zu erreichen, so dass die Betreuung der Tiere oft vom Tal aus erfolgt. Daher werden viele Almhütten inzwischen privat genutzt, vermietet oder als gastronomischer Betrieb geführt.

Wintervorrat

Heu für die Winterfütterung wird übrigens nur im Tal und auf den Voralmen gemacht. Eine Mahd des oft spärlichen Grüns auf den eigentlichen Hochalmen ist zu mühsam und im steilen, felsigen Gelände oft auch gar nicht möglich.

Auf und ab

Die Almwirtschaft, die das Erscheinungsbild von weiten Teilen der Alpen maßgeblich geprägt hat, erlebte immer wieder Höhen und Tiefen. Im 16ten und 17ten Jahrhundert etwa wurden zumindest in Österreich verschiedene Waldordnungen mit festen Regeln über Aufforstung, Benutzung und Bewahrung des Bergwaldes erlassen. Das Brandroden von Wald zur Schaffung von Ackerflächen sowie das Beweiden von Forsten waren plötzlich nicht mehr möglich, wodurch eine weitere Ausdehnung der Almwirtschaft verhindert wurde und viele Bergbauern aufgeben mussten. Auch in neuerer Zeit, genauer in den 1960er und 1970er Jahren, verlor die traditionelle Berglandwirtschaft vor allem aufgrund der geringen Erträge bei hoher Arbeitsbelastung immer mehr an Attraktivität. Viele Almen wurden nicht mehr bewirtschaftet und fielen brach.

Ökonomische Bedeutung

Durch diverse Förderprogramme wie beispielsweise die Zahlung von Weideprämien stieß die Almwirtschaft schließlich doch wieder auf Interesse, so dass bis heute zahlreiche Bauern ihr Vieh auf die Sommerweiden bringen. Schließlich haben sie in dieser Zeit im Tal auch wesentlich weniger Arbeit, da das Misten der Ställe sowie das Füttern und Versorgen der Tiere wegfällt. Hinzu kommen die Einnahmen aus der Vermarktung der hochwertigen Produkte (v.a. Käse, Fleisch). Nicht zu vergessen der Almtourismus, der den Bauern teilweise beträchtliche Erträge etwa durch die Bewirtschaftung von Gasthöfen, die Vermietung von Hütten oder den Betrieb von Skipisten beschert.

Landschaft und Tourismus

Die Beweidung der Almen ist die Voraussetzung für den alpinen Sommer- und Wintertourismus. Sie ist die günstigste und einfachste Form, die in mühsamer, harter Arbeit über Jahrtausende hinweg von Menschen geschaffene alpine Kulturlandschaft zu erhalten. Eng verzahnt mit den natürlichen Fels- und Gletscherregionen entstand so die zauberhafte Bergwelt, die wir heute kennen und lieben. Allein in die Deutschen Alpen zieht es Jahr für Jahr viele Millionen Urlauber und Tagesgäste. Wenn die Almen aufgegeben und im Laufe der Zeit wieder zu Wald würden, wäre auch mit massiven Einbußen im Tourismusbereich zu rechnen, da der Erlebnis- und Erholungswert mit einem Wegfall der attraktiven, vielfältig strukturierten Berglandschaft stark sinken würde. Wer möchte schon im dichten Wald Urlaub machen, selbst wenn dieser in den Bergen ist?

Alpensteinbock (Capra ibex),
Mit Bergjagden, zum Beispiel auf den Alpensteinbock (Capra ibex), lässt sich ebenfalls Geld verdienen. Foto: Ursula Bauer

Ökologische Bedeutung

Die sporadisch beweideten Almen sind nicht nur hübsch anzusehen, sondern zeichnen sich außerdem durch eine hohe pflanzliche und tierische Artenvielfalt aus. Weidetiere sind keine Maschinen. Sie haben ein selektives Fressverhalten. An einer Stelle schmeckt es besonders gut, da werden Gräser und Kräuter intensiv heruntergeweidet. Über andere Bereiche wird dagegen nur flüchtig rüber gefressen. Auch der Dung landet nicht gleichmäßig verteilt auf der Alm, sondern mal hier und mal da. Durch diese unregelmäßige Nutzung entsteht ein Mosaik aus den unterschiedlichsten Kleinstandorten, die von einer entsprechend vielfältigen Flora und Fauna besiedelt werden.

Diese nutzungsbedingte Artenvielfalt der Almen verringert sich jedoch sofort, wenn die Bewirtschaftung verändert wird. So führt eine Intensivierung durch Düngung und Erhöhung des Viehbestandes schnell zu einem Anstieg stickstoffliebender Pflanzen und einer insgesamten Verarmung des Arteninventars. Letzteres ist auch bei einer Nutzungsaufgabe zu beobachten, da schnell eine Verbuschung und spätere Verwaldung einsetzt, wenn eine Alm weder beweidet noch gemäht wird.

Dann kann es auch verstärkt zu Schneeschäden kommen, da sich die in die Höhe schießenden Gräser und Kräuter umlegen, wenn es schneit. Auf dieser rutschigen Pflanzenschicht wird der Schnee nicht gehalten, sondern schiebt hangabwärts, wobei er Erde und Vegetation mitnimmt. Selbst kleine Büsche und nachwachsende Bäumchen können den Schnee nicht festhalten, sondern werden entwurzelt, wodurch Angriffsflächen für Bodenerosion entstehen.

Ziegen auf einer Bergweide
Ziegen werden gerne zur Wiederherstellung stark verbuschter Bergweiden eingesetzt, da sie sowohl Gräser und Kräuter als auch die Blätter von Sträuchern und kleineren Bäumen fressen und nicht einmal vor stacheligen Pflanzen wie Wacholder zurückschrecken. Foto: Ursula Bauer

Neben dem Habitat- und Artenreichtum ist ein weiterer wichtiger Pluspunkt der Beweidung, dass die Tiere den Boden verdichten und die spärliche Humusschicht in den Untergrund drücken, was vor Erosion schützt. Zudem terrassiert das Vieh steile Hänge, wodurch es an diesen Stellen seltener zu Bodenrutschungen kommen soll. Die Almwirtschaft dient jedoch nur so lange dem Bodenschutz, wie sie extensiv, also mit niedrigem Tierbesatz, erfolgt. Eine zu hohe Tierzahl bewirkt das genaue Gegenteil – die Grasnarbe wird zerstört und die Humusschicht von Wind und Regen davongetragen.

Tierwohl

Wer schon einmal seinen Urlaub in den Bergen verbracht hat und das Vieh auf den Almen beobachten konnte, hat vielleicht bemerkt, dass die Tiere ihren wilden, freien Sommer zu genießen scheinen. Sie können sich frei bewegen, in der Sonne liegen und einen intensiven Kontakt zu den anderen Herdenmitgliedern pflegen.

Ein weiterer wichtiger Pluspunkt der Alm sind die sehr nahrhaften und gesunden Bergpflanzen. Sie enthalten zahlreiche Gräser und Kräuter. Diese geben den Tieren Kraft und verleihen Fleisch, Milch und Käse einen besonderen Geschmack sowie hohe Qualität.

Durch Eintönigkeit und Langeweile können auch Tiere regelrecht verblöden. Auf der Alm werden sie dagegen gefordert. Jeder Tag bringt neue Ereignisse: Mal gewittert es, ein Fuchs läuft über die Weide, Wanderer kommen vorbei, ein neues Herdenmitglied wird geboren. Es gilt, ein Hindernis zu überwinden oder irgendwie den Geröllhang herunter zu kommen. Das Vieh lernt wieder, als Gruppe zu funktionieren, Gefahren einzuschätzen, Entscheidungen zu treffen und sich auf seine Urinstinkte zu besinnen. Artgerechter als auf der Alm kann die Haltung von Nutztieren kaum sein.

Ursula Bauer

Diplom-Biologin bei aktion tier – menschen für tiere e.V.